Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater
kann.
Hilf mir, Anne. Er spricht ja nur aus, was ich denke – was ich fühle …
»Er wird sich eingewöhnen«, sagte sie sanft. »Er ist noch zu jung, um alles zu begreifen. Er wird nie in die Lage kommen wie du zu beten: Lieber Gott, laß es einmal schneien. Lieber Gott, ich möchte wieder ein Kornfeld sehen. Lieber Gott, einmal nur durch einen Birkenwald gehen. Lieber Gott, einmal den Duft von Tannen atmen … Wir werden hier sehr glücklich sein, Werner. Wir alle.«
Er nickte, und er wußte gleichzeitig, daß sie log. Irgendwie waren sie fremd geworden in dieser normalen Welt, standen herum wie in einem Saal voll lärmender, verwirrender, erschreckender Maschinen und ertrugen die Fülle der Zivilisation, weil sie sich beide immer wieder einredeten: Du gehörst hierher. Von hier bist du gekommen. Nun bist du zurückgekehrt. Wirf dich hinein in dieses schäumende Leben …
Sie standen zwei Stunden am zugefrorenen Meer, bis Paul fragte: »Papi, wann wird es wieder warm?«
Da hob Bäcker ihn hoch und trug ihn auf seinen Armen zurück zum Wagen. »Bald, mein Sohn«, sagte er rauh. »Bald. Die Sonne kommt immer wieder …«
In Lübeck hatte sich für Bäcker vieles zum Guten verändert. Während der vergangenen Jahre hatten seine Aktien und Wertpapiere gute Zinsen getragen und waren im Kurs gestiegen. Die Firma in Auckland hatte damals auch noch ein Jahresgehalt auf das Konto überwiesen, und auch hier machten die Zinsen und Zinseszinsen von sechs Jahren einen schönen Betrag aus. Als Bäcker alle Konten zusammengerechnet hatte, war er selbst erstaunt.
»Ich bin ein reicher Mann, Anne«, sagte er. »Während wir unsere Hütte bauten, in der Sonne lagen, fischten und jagten, hat sich mein Geld vermehrt, und ich bin reich geworden. Dazu noch die Honorare vom ›Globus‹, von den Fernsehrechten, den Auslandsrechten … Wir könnten uns an einem schönen Platz niederlassen. Was hältst du davon?«
»Darüber werden wir noch viel sprechen, Liebling.« Sie schob die Berechnung zusammen und warf sie in einen Papierkorb. »Zunächst wirst du dich in ein Bett legen und dein Gesicht und dein Bein operieren lassen.«
Er zuckte zusammen und griff nach Annes Hände. »Hat Paul etwas gesagt?!« Seine Stimme klang entsetzt.
»Kein Wort. Aber wenn du jetzt die Chance hast –«
»Habe ich die wirklich?«
»Fragen wir die Chirurgen, Werner. Auf unserer Insel war es gleichgültig, wie du aussiehst, aber hier unter den anderen Menschen verlangt man ein Gesicht von dir.« Sie hielt seine Hände fest. »Menschen sind oft grausamer als Haie –«
Sie fuhren zurück nach Hamburg. Acht Tage lang wurde Werner Bäcker von einem Chirurgenteam untersucht, röntgte man ihn, entwarf Operationspläne und rechnete die Einwachszeiten der Transplantate nach den bisherigen Erfahrungen aus. Prof. Thoritz, der Chef der Klinik, sagte es Bäcker dann ganz klar, denn es hatte keinen Sinn, einem Mann wie Bäcker mit vielen schönen Worten eine halbe Wahrheit zu servieren:
»Bis alle Operationen ausgestanden sind, wird es zwei bis drei Jahre dauern. Das verkürzte Bein kriegen wir wieder gerade. Es wird neu gebrochen, gestreckt und schließlich schrauben wir eine Stahlplatte ein. Auch die Narben im Gesicht können wir korrigieren, die Höhle in der linken Wange wird mit einem Transplantat ausgefüllt, und der linke Nasenflügel wird erneuert. Nur zweierlei wird fast irreparabel sein: Die Pulversprengsel im Gesicht können wir nicht entfernen, und neue Augenlider können wir Ihnen nicht anflicken. Wir Chirurgen können viel – aber da ist auch unsere Grenze. Sie werden sicherlich immer eine dunkle Brille tragen und nachts mit einer Augenbinde schlafen müssen. Lider und Wimpern erneuern – das sind auch heute noch Experimente ohne die geringste Garantie. Wenn Sie aber ein solches Experiment auf sich nehmen wollen –«
»Drei Jahre?« fragte Bäcker nachdenklich. »Dann bin ich wieder ein neuer Mensch?«
»Sagen wir: fast neu. Ihr Gesicht bleibt eine Art Pepitaanzug.«
Prof. Thoritz lachte, und Bäcker lachte mit. Aber es war wie Galle, was er da aus sich herauslachte. Drei Jahre, dachte er. Und während dieser Zeit werde ich immer von neuem auf den Operationstisch gelegt, werde Schmerzen haben und jedesmal mit der bangen Frage erwachen: Ist der Eingriff gelungen oder nicht? Ich werde immer ein Mensch sein, dem man die Hand mitleidvoll drückt, den man ermunternd anlächelt, aber dieses Lächeln wird immer säuerlich sein, und in den Augen
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