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Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater

Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater

Titel: Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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er bisher nur von der Landseite her.
    In Auckland hatte er es mehrmals erlebt, und es war unbegreiflich, was ein Sturm anrichten konnte. Mit unberechenbarer Gewalt knickte er Bäume wie morsche Zweige, deckte Häuser ab, schleuderte Autos wie Bälle durch die Luft und trieb in die Häfen und über das Land Flutwellen, gegen die es keine Dämme gab.
    Bei seinen Bauten in Neuseeland hatte er diesen neuen, in Europa kaum bekannten Faktor der Statik berechnen müssen: Stabilität bei Taifunen. Die Werte des Winddrucks, die dabei herauskamen, hatten ihn als Architekten fasziniert. Welch eine Kraft in der Natur, gegen die der Mensch sich stemmen muß!
    »Es wird Sturm geben«, sagt er bewußt leichthin. »Das geht hier schnell, Viktoria.«
    »Bei dieser Sonne? Dieser Schwüle?«
    Sie lächelte ihm zu. Ihr Lächeln ist schöner als alles auf der Welt, dachte er. Warum fahren wir hier herum – man hätte genug zu tun, Vickys Lächeln zu genießen.
    »Eben wegen der Schwüle. Und sieh sie dir an, diese Sonne … wie eine Scheibe aus Messing. Ich schlage vor, wir machen das Schiff sturmdicht. Wir sollten nicht warten, bis der Wind da ist … das geht hier schnell.«
    Er drehte sich um und spreizte die Beine. Wie ein Kapitän zog Bäcker eine Trillerpfeife aus der Tasche und pfiff. Der schrille Ton durchschnitt die lähmende Stille um sie herum. Für die Kinder war das ein herrliches Vergnügen, und Bäcker dachte: Ich muß sie warnen. Ich muß ihnen die volle Wahrheit sagen. Der Schritt vom Paradies zur Hölle ist nur ein kleiner Hüpfer, aber sie werden es nicht begreifen. Wer kann das schon?
    Vom Ruderhaus schallte Holgers helle Jungenstimme. »Aye aye, Sir! Welche Befehle, Käpt'n?«
    Vom Vorderdeck liefen Peter und Marion heran. Viktoria klappte den Liegestuhl zusammen.
    Das Meer schimmerte grünlich mit weißen Schaumkrönchen.
    »Sturmappell!« schrie Bäcker. In seiner Stimme, die unbeschwert klingen sollte, schwang etwas mit, was die anderen nicht hörten: Angst.
    Angst vor diesem Meer, das sich von Minute zu Minute weiter verwandelte, das die Glätte abspülte, das Blau des Paradieses, den Goldglanz der Sonne und sich häutete zu einem grünen Ungeheuer.
    Bäcker überblickte seine Familie, wie sie jetzt jeden Handgriff, den sie wochenlang im Hafen geübt hatte, ausführte. »Wer die See erobern will, muß erst lernen, ihre Tücken zu begreifen«, hatte er gesagt. Dann hatte er an Bord exerziert, mit militärischer Präzision; er hatte die Unwetterlektionen durchgepaukt, das Wassern der Notinsel aus Gummi und Nylon, das Anhaken an den Griffstangen, die richtige Lage beim Schwimmen mit umgeschnallten, aufgeblasenen Schwimmwesten – er hatte das Überleben immer und immer wieder geübt, bis es allen zum Hals heraushing.
    »Sollen wir Freude an der Jacht haben, oder wollen wir Seeleute werden?« hatte Viktoria einmal gefragt, nachdem sie und die Kinder müde auf Deck hockten, mit Haken an die Sturmstange gefesselt.
    Und Bäcker hatte geantwortet: »Beides. Wir werden hier nicht über den Bodensee fahren, sondern über ein Weltmeer.«
    Jetzt machten sich diese Übungen bezahlt. Jeder Handgriff saß, von Deck wurden alle beweglichen Teile entfernt, Viktoria und die Kinder legten die Schwimmwesten an. Die wie ein großes orangefarbenes Paket wirkende Rettungsinsel aus Gummi wurde mit Karabinerhaken in einer Ablage vor dem Ruderhaus vertäut. Gegenseitig schnallten sich Viktoria und die Kinder die breiten Gurte mit den großen Stangenhaken um.
    »Bei Sturm bleibt keiner unter Deck!« hatte Bäcker bei jeder Übung gesagt. »Lieber naß werden, aber im Notfall an der richtigen Stelle sein.«
    Das Meer kräuselte sich stärker ohne ersichtlichen Grund. Die Luft, jetzt völlig unbewegt, machte das Atmen schwer. Es gab kaum noch etwas Sauerstoff, den die Lungen aufsaugen konnten.
    »Kommt ein Taifun, Papi?« rief Marion. Sie stand neben Viktoria, zierlich, schwarzlockig, in ihrer gelben Schwimmweste wie ein fremdartiges Insekt wirkend. Holger turnte auf dem Aufbau herum und zurrte das Sonnensegel ein.
    Bäcker schüttelte langsam den Kopf.
    »Bloß das nicht, Kaninchen.«
    Als sie noch ganz klein war, hatte er sie Kaninchen genannt, weil sie so sanfte Augen hatte und am liebsten an Äpfeln und Mohrrüben nagte.
    »Hoffen wir, daß es vorübergeht. Es wird uns nur ein wenig anblasen.«
    »Also der Ernstfall, Sir? Keine Übung?« rief Holger fröhlich vom Dach des Ruderhauses.
    Bäcker entschloß sich, seinen sorglosen Ton

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