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Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater

Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater

Titel: Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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entsetzten Augen hinein. »Mut, Vicky! Das ist das einzige, was wir noch haben – aber es ist genug, um durchzukommen!«
    Sie nickte. Über ihren verzerrten Mund stürzte in Bächen das salzige Wasser. Sie warf die Arme um seinen Hals und drückte ihr Gesicht gegen seine breite Schulter. Zwischen ihnen wimmerte Marion vor Angst.
    Mein Gott, mein lieber Gott, ich liebe ihn, dachte sie. Alles an ihm liebe ich: sein blondes, verwuscheltes Haar, seine kantige Stirn, die hellen Augen, den zärtlichen Mund, das feste Kinn, den kräftigen, muskulösen Körper. Wir haben drei Kinder miteinander, und es hätte ein viertes gegeben im nächsten Jahr, weißt du es, mein Gott, diese Nacht auf Tahiti, als die Ukeleles klangen und die Vahines ihren Tamure-Tanz tanzten. Mein Gott, mein lieber Gott, laß uns zusammenbleiben! – Nimm ihn mir nicht! – Laß uns alle zusammen überleben! Gott, ich rufe dich –
    Laut aber sagte sie an Bäckers Hals: »Das Schiff, Werner! Das Schiff … wenn es zerbricht –«
    »Schwimmwesten aufblasen!« brüllte Bäcker gegen den tosenden Orkan. »Gummiinsel bereit machen!«
    »Und die Haie?« schrie Vicky zurück.
    »Bei solchem Sturm kommen sie nicht an die Oberfläche.«
    »Sicher?«
    Er nickte. Er wußte es nicht, aber er wußte ganz sicher, daß es sie beruhigte, und das allein war wichtig. Eigentlich war es logisch – wie kann ein Hai in einem solchen kochenden Meer noch nach Beute jagen?
    Immer, wenn sie in eines der abgrundtiefen Wellentäler fielen, in ein entsetzliches luftleeres Nichts, arbeitete Bäcker weiter. Er schlang das lange Nylontau um sich und seine Familie, fesselte sie alle zusammen, und als sie, angehakt an die Stange in der Wand des Ruderhauses und aneinander festgeklammert, ein Klumpen mit fünf Köpfen und zehn Händen waren, atmete Bäcker auf.
    »Uns zerreißt nichts mehr!« schrie er gegen den Sturm an. »Wir kommen durch! Wir schaffen es! Wir haben ein gutes Schiff –«
    Es war ein Schrei gegen das Schicksal, und das kümmerte sich nicht darum.
    Das Meer brüllte dazu, dröhnend, kreischend, heulend. Bäcker breitete die Arme weit aus, umfaßte das Bündel seiner zusammengebundenen Familie, küßte Viktoria das von den Salzwellen wie zerstörte Gesicht und starrte dann auf die See, die keine See mehr war, sondern nur noch urweltlicher Untergang.
    Mehr konnte er nicht tun. Was ist ein einzelner Mann gegen das Meer? Er konnte nur noch warten und wußte nicht, worauf er warten sollte. Es gab keine Wunder mehr.
    Es war eine Welle, breit und hoch und gezackt wie ein Gebirge, die das Schiff zerplatzen ließ. Mit einem kreischenden Aufschrei brach es auseinander.
    Bäcker und Holger umklammerten die Gummiinsel, das Ruderhaus und ein Teil des Decks hielten noch zusammen.
    »Haken los!« brüllte Bäcker. »Haken los!« Und noch im Untergang gehorchten Viktoria und die Kinder.
    Zehn Hände lösten die Haken von der Stange, dann wurden sie weggeschleudert in das tobende Meer.
    Fast hoheitsvoll, widerlich ruhig entfaltete sich die Rettungsinsel, aus den Preßluftflaschen zischte die Luft in die einzelnen Schwimmkammern. Ein orangenfarbener Fleck in schwarzgrünen, zerberstenden Wellen. Oben auf dem Kamm eines Wassergebirges zerflatterte plötzlich das Ruderhaus. Bäcker hing an der Gummiinsel, und an ihm hing seine Familie. Vor ihnen, der mit Leuchtstoff bespannte Fleck, war das Leben. Mein Gott … Leben!
    »Aufpassen!« schrie Bäcker. »An den Gurten festklammern! Bleibt zusammen!«
    Die kleine Strecke zum Leben stand ihnen bevor, diese lächerlichen fünfzig Zentimeter bis über den Rand der Rettungsinsel. Aber sie mußten überwunden werden – einzeln mußte man sich aus dem Wasser stemmen und hinüberrollen in die Sicherheit.
    Bäcker löste das Nylontau, das sie zusammenfesselte, und griff zuerst nach Marion. Sie war mit Viktoria wie verschmolzen, ihr Köpfchen hing zur Seite, und Bäcker wußte nicht, ob sie schon ohnmächtig war.
    »Vicky!« brüllte er. »Hinein!«
    Er drückte nach, und er mußte dabei das Tau loslassen.
    Das Meer war stärker. Im gleichen Augenblick, da Viktoria den Inselrand ansprang, zerriß eine neue, wie tausend Dampfloks schnaufende Woge das Bündel Mensch aus fünf Köpfen und zehn Händen.
    Bäcker sah, wie Viktoria hoch auf einen Wellenkamm geworfen wurde, er sah, wie Holger und Peter mit weitaufgerissenen Mündern in einem brüllenden Tal versanken, und er sah Marion, einer zerbrochenen Puppe gleich hoch in die Luft fliegen und irgendwo

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