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Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater

Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater

Titel: Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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aufzugeben. »Ja, mein Junge. Der Ernstfall!« sagte er laut. »Blickt mal in die Sonne –«
    Sie hoben alle die Köpfe. Die Sonne war zu einer Scheibe geworden, die in einem milchigen Himmel schwamm. Noch nie hatten sie die Sonne so gesehen, so fahl, so drohend, so verwaschen, wie hinter einem blinden Fenster.
    Und das Meer wurde dunkelgrün und flach wie ein Brett.
    Noch einmal überdachte Werner Bäcker alles, was er gelernt hatte für das Patent ›Große Küstenfahrt‹. Es blieb ihm nichts mehr zu tun. Jetzt mußte er warten. Warten auf den Wind, warten auf die brüllende See, warten auf das Glück, daß sich das Schiff vielleicht nur am Rande eines Sturmes bewegte. Er hätte um diese Möglichkeit auch beten können. Aber Bäcker war nicht der Mann, der Gott für eine Not verantwortlich machen wollte. Er hatte das Beten verlernt, aber die Kinder, sie waren Gott noch näher, und Viktoria besuchte sogar in Auckland die Kirche, obgleich es dort keine lutherische Gemeinde gab.
    Die Kinder! Und Vicky! Meine Familie, dachte er. Eine Handvoll Glück – das habe ich im Leben wirklich erreicht. Wer kann das so uneingeschränkt von sich behaupten? Eine schöne Frau, die ich liebe, drei Kinder, die ich beinahe noch mehr liebe, Erfolg im Beruf, ein Haus und ein Schiff … man sollte sich bei seinem Leben bedanken. Und – verdammt sei dieses Meer! – ich werde sie alle gesund nach Hause bringen.
    Plötzlich, wie ein riesiges Gebläse, das angestellt worden ist, war der Sturm da. Er fiel über sie her, drückte sie gegen die Aufbauten, und die schwammige Sonne zerfloß, unbegreiflich und grauenerregend schön.
    »Anhaken!« schrie Bäcker.
    Er selbst rannte ins Ruderhaus, holte ein langes Nylontau und warf es Vicky zu.
    »Festhalten! Ich komme gleich!«
    Er band das Ruder fest, schaltete die Motoren aus und schob die Fenster zu.
    Das Meer brüllte auf.
    Als hebe ein Vulkan es aus der Tiefe herauf, wallte das Wasser hoch wie ein Haus, formte sich zur riesigen Welle, unübersehbar breit, phosphoreszierend den Himmel in sich hineinsaugend, und stürzte dann auf das kleine Schiff.
    Die erste Faust der entfesselten Natur traf die Jacht von vorn. Sie ächzte in allen Nieten, tauchte weg unter dem ungeheuren Druck und bohrte sich in diese schreiende Woge. Bäcker wurde gegen die Wand des Ruderhauses geschleudert und hielt sich an der Kompaßsäule fest. Sein Rückgrat schmerzte, einen Augenblick war er wie gelähmt und dachte: Jetzt hat's mich erwischt, schon bei der ersten großen Welle. Sie hat mir das Kreuz zerschlagen, ich werde lahm zusehen müssen, was aus uns wird.
    Er stemmte sich hoch, nachdem der augenblickliche Schmerz nachgelassen hatte, wurde bei einem neuen Schlingern nach vorn zum Fenster getragen und prallte mit dem Gesicht gegen die triefende Scheibe.
    »Ich bin nicht lahm!« sagte er laut. »Ich kann noch gehen, du Saustück von einem Meer! Das ist ein armseliger Mann, den der erste Schlag schon umwirft!«
    Er starrte hinunter aufs Deck und dann hinaus auf die See.
    So also sieht eine Welt aus, wenn sie untergeht, durchfuhr es ihn. Aber kann sie überhaupt so gründlich untergehen? Immer hat es Überlebende gegeben. Immer! Auch die Sintflut war nicht Vernichtung … es gab einen Noah. Verdammtes Meer, hörst du mich? Ich werde ein neuer Noah sein. Ich werde dich überleben, Natur! Ich, Viktoria und die Kinder! Brülle nur auf, du mistiges Meer … ich brülle zurück!
    Er sah Vicky und die Kinder unterhalb des Ruderhauses stehen. Das Wasser lief an ihnen herunter, und sie schienen zusammenzuschrumpfen unter diesem ersten Schlag.
    Als das Schiff in ein Wellental glitt, stürzte er hinaus und rutschte die Brückentreppe hinunter. Neben Vicky hieb er seinen Gürtelhaken in die massive Haltestange.
    Viktoria und die Kinder hingen mit ihren Gurten sicher am Ruderhaus. Die kleine Marion drückte ihr Gesicht gegen den Leib der Mutter. Holger, der Älteste, umklammerte die Leine der Rettungsinsel, bereit, sie aus ihrer Verankerung zu reißen. Nur Peter weinte plötzlich, in seinen weit aufgerissenen Jungenaugen stand die Angst. Er streckte die Arme nach seinem Vater aus, und Bäcker ergriff ihn und zog ihn zu sich heran.
    Das Meer war kein Meer – es verwandelte sich zum kreischenden Schlund.
    »Nicht den Mut verlieren!« schrie Bäcker. »Haltet die Köpfe hoch! Die Münder zu!« Er faßte nach Vicky, zog ihren Kopf mit den triefenden Haaren zu sich und küßte ihre zitternden Lippen. »Mut!« sagte er in ihre

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