Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater
wurden, und schwarze brüllende Tiefe, in die man hineinstürzte, um wieder hinaufgeschleudert zu werden in eine Welt, die aus salzigem Gischt und tosendem Wasser bestand.
Sie hatten sich zusammengebunden: der Mann, die Frau und die drei Kinder. Mit dicken Schiffstauen und guten Knoten waren sie aneinandergefesselt, umklammerten das Gestänge unterhalb des Ruderhauses, ein Klumpen Leben inmitten brüllender Vernichtung. Und sie glaubten mit einer verzweifelten Hoffnung an die Worte des Mannes, als der Taifun über sie hergefallen war:
»Wir kommen durch! Wir schaffen es! Wir haben ein gutes Schiff!«
Es war der 27. April 1965, mittags 14 Uhr.
Seit drei Stunden schlug die Riesenfaust des Pazifiks das kleine weiße Schiff zusammen.
Es hatte ganz harmlos begonnen … mit Sonnenschein, einem postkartenblauen Meer, das sich in langen ruhigen Wellen bewegte.
Viktoria Bäcker lag unter dem aufgespannten Sonnensegel und las in einem Roman. Die Kinder Marion und Peter spielten auf dem Vorderdeck Seeräuber, Holger, der Älteste, hockte bei seinem Vater im Ruderhaus und übte das Spleißen von Knoten. Das Schiff machte gute Fahrt, es glitt über die See ohne jegliche Erschütterung, so als berühre es gar nicht das Wasser. Nur das hohle, tuckernde Stampfen der beiden Dieselmotoren durchbrach die völlige Lautlosigkeit des Tages.
Die Wochen, die hinter ihnen lagen, waren wie ein Märchen gewesen. Sie hatten die Tubai-Inseln und Tahiti besucht, waren kreuz und quer durch den übersichtlichen Korallen-Archipel der Tuamotu-Inseln geschippert und fuhren jetzt in einem vernünftigen Reisetempo den Marquesas entgegen, ihrer letzten Station in drei Monaten Ferien. Von Hiva Oa sollte es dann in direkter, schneller Fahrt zurück nach Auckland gehen.
Drei Monate allein mit Sonne, Meer und Wind. Drei Monate das herrliche Gefühl genießen, durch ein Paradies zu gleiten, dem letzten dieser Erde. – Nur schwimmen konnte man nicht. Seit Wochen begleiteten die Haie das Schiff; sie lösten sich ab in der Verfolgung, schwammen bis zum Ende ihres Reviers und übergaben das Schiff dem neuen Rudel, so wie man eine Stafette von Hand zu Hand weiterreicht. Wenn Viktoria Küchenabfälle über Bord warf, schossen die spitzen Rückenflossen durch die See, und sie sahen in dem klaren Wasser die torpedoschnellen, langen Fischleiber mit den kleinen, tückischen, mordgierigen Augen neben dem Schiff entlanggleiten. Ein lautloser, vom sicheren Deck aus beobachteter geradezu eleganter Tod.
Gegen 10 Uhr starb auch der letzte Windzug. Die Fahnen am Mast hingen schlaff im Seil, unter dem Sonnensegel brütete die feuchte Hitze, im Ruderhaus staute sie sich und drückte wie ein riesiges Gewicht auf den Schädel. Bäcker schob alle Fenster zur Seite, aber es gab kaum einen merkbaren Durchzug, selbst der Fahrtwind verlor sich wie in einer Wand aus Watte.
Der Pazifik rollte in dieser Stille mit einem untergrundigen, noch kaum vernehmbaren Grollen. Die Wellen verwandelten sich, bekamen weißglitzernde Kronen und kräuselten sich, als begännen sie zu frieren. Gnadenlos brannte die Sonne.
»Ein herrliches Wetter«, rief Viktoria unter ihrem Sonnensegel. Mit dem Buch, in dem sie las, fächelte sie sich Luft zu. »Nur diese Schwüle! Wenn man jetzt schwimmen könnte –«
Sie blickte über Bord, sah wieder die dreieckigen Rückenflossen und dachte, daß auch das letzte Paradies unvollkommen sei. Kühles, stahlblaues Wasser, in dem sich der Tod tummelte.
Werner Bäcker starrte auf die Instrumente im Ruderhaus. Der Luftdruck fiel und fiel, ins Uferlose. Es war, als sauge der messingfarbene Himmel den letzten Sauerstoff auf. Das Atmen wurde immer schwerer, Schweiß brach aus allen Poren.
»Mir gefällt das Wetter gar nicht!« rief Werner Bäcker durch das offene Frontfenster des Ruderhauses. Er stellte das Ruder fest auf Fahrt geradeaus, klopfte seinem Sohn Holger, der sich mit einem komplizierten Schifferknoten beschäftigte, auf die Schulter und kletterte über die kleine Brückentreppe hinunter zu seiner Frau. Er blieb vor Viktoria stehen, lehnte sich an das verchromte Gestänge des Sonnensegels und beobachtete das träge, sich fortwährend in der Farbe verändernde Meer.
Als er mit dem Seenotrettungskreuzer der Küstenwacht über die Ostsee gefahren war, hatte er auch schon einen starken Wind, so um die Stärke 8 herum, erlebt – aber eine richtige Sturmfahrt ist etwas anderes, er hatte sie noch nicht durchgestanden, und einen Orkan in der Südsee kannte
Weitere Kostenlose Bücher