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Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater

Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater

Titel: Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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in dem heulenden Brodeln aufschlagen. Noch einmal erkannte er Vicky – mit hocherhobenen Armen verschwand sie in einem tosenden Himmel. Durch alles hindurch aber – vielleicht ließ der Wind eine Lücke der Stille, damit er es hörte – vernahm er ihren Schrei. Und was das Meer nicht schaffte, erreichte diese Stimme – den Gipfel des Entsetzens.
    »Die Haie! Hilfe! Die Haie! Werner –«
    »Nein!« schrie er, und er schrie immer weiter, so sinnlos es war, schrie jede Woge an, schrie mit vom Wasser zerschlagenem Mund, schrie ins Meer und in den Himmel hinein, schrie: »Nein! Vicky! Holger! Peter! Marion! Nein! Nein! Nein!«
    Zum letztenmal erkannte er vier helle, gelbliche Punkte im Wasser, Spielbälle der Vernichtung, dann rauschte eine neue Welle heran und pflügte auch die Punkte unter. Was blieb, war der brüllende Gischt, war das Salzschaum des Meeres, war ein Himmel, fahlgelb, mit Phosphor bestrichen.
    Bäcker zog sich schreiend hoch, wälzte sich über den Wulstrand in die Rettungsinsel, umklammerte seinen Kopf, und es gab für ihn nichts mehr, als alles aus sich wegzuschreien. Und so schrie und schrie er ohne Unterlaß, keine Worte mehr, nur noch Töne, nur noch blanken Schmerz, nur noch unfaßbare Verzweiflung.
    Dann fiel er nach hinten, starrte mit irren Augen noch einmal auf das mordende Meer und verlor das Bewußtsein.

II
    Er erwachte, weil die Sonne auf der Haut brannte und sein Körper sich mit juckendem Salz überzog.
    Er lag auf einem flachen Sandstrand, vier Meter vom Meer entfernt, so wie ihn eine Welle an Land gespült haben mußte. Zehn Meter weiter lag die Gummiinsel, zusammengesunken, beim Sturz auf die spitzen Steine einer Klippe aufgeschlitzt.
    Die See war ruhig, glatt, eine Scheibe aus Kobalt mit goldenen Sonnentupfen. Ein Zaubermeer.
    Werner Bäcker wollte sich aufrichten und fiel stöhnend zurück. In seinem linken Bein brannte der Schmerz, als habe man ihm einen Spieß ins Fleisch gestoßen. Es hing an ihm wie ein sinnloser Lappen. Er tastete das Bein ab und fühlte unter seinen aufgerissenen Fingerkuppen den Bruch und die Splitter, die in den Muskeln staken.
    Er ließ sich zurückfallen, schloß die Augen und lag mit ausgebreiteten Armen da, der Schmerz ließ nach, oder nein – er verteilte sich bloß, durchzog den ganzen Körper und machte sich daran, das Herz und das Gehirn zu zerstören.
    Er hielt den Atem an, um dem Sterben entgegenzukommen, aber so leicht starb es sich nicht. Über sich hörte er den Flügelschlag eines großen Vogels, und der Luftzug seiner Schwingen warf pulverfeinen Sand über sein Gesicht.
    Ich lebe, dachte er. Ich lebe wirklich. Es ist keine Vision – ein Vogel bewirft mich mit Sand.
    Warum lebe ich? Ich allein? Was hat das für einen Sinn? Das Meer hat mich ausgespuckt wie einen faulen Fisch, und da liege ich nun herum mit einem gebrochenen Bein, irgendwo auf einer Koralleninsel, völlig sinnlos, denn was ist dieses verfluchte Leben noch wert, jetzt hier in der Einsamkeit, ohne Viktoria, ohne die Kinder.
    Er warf die Hände vor das salzverkrustete Gesicht und weinte wieder, haltlos laut, von Schluchzen durchrüttelt, und jedes Schluchzen teilte sich seinem Bein mit und stach in ihm bis hinauf zum Herzen und später bis unter die Hirnschale.
    Ein Mann, wenn er weinen muß, weint nicht lange. Auch Bäcker wurde ruhiger, die guten, klaren Gedanken kehrten zu ihm zurück. Aber die Augen öffnete er noch nicht wieder. Es denkt sich besser ohne einen Blick auf diese Welt.
    Was soll das, dachte er. Bin ich an Land geworfen worden, um hier zu verrecken? Dieses verdammte Bein wird mich umbringen. Der Durst wird mich austrocknen, und die Sonne wird mich dörren, bis ich nur noch ein Haufen Knochen und Leder bin. Das hat keinen Sinn, du verfluchtes Meer, durch diese Rechnung mache ich dir einen Strich. Es stimmt, ich will nicht mehr leben, aber ertrinken ist schöner als verdursten.
    Er riß die Augen auf. Die Lider brannten, das Salz biß in die Schleimhäute der Nase und des Gaumens. Er sah die Sonne über sich, wie von einer goldenen Aura umgeben. Der Tod mit einem Heiligenschein. Und als er den Kopf um ein paar Zentimeter hob, sah er das Meer, eine Scheibe von tiefem, strahlendem, anmaßendem, höhnischem Blau.
    Dahin gehöre ich, dachte er. Zu Viktoria und den Kindern. Mach dich bereit, Meer, ich komme. Es ist ein wundervolles Wetter, um zu sterben.
    Er versuchte wieder, sich zu bewegen.
    Das Bein stach und brannte, und der Schmerz füllte ihn randvoll

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