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Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater

Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater

Titel: Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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zaghafte Vogelstimmen. Das Paradies ist wirklich so wie in den Kinderbüchern, dachte er. Es gibt ein blaues Meer, eine warme, immer strahlende Sonne, einen köstlichen Wind und pulverfeinen Sand. Er krallte die Finger neben sich in den Boden und begriff erst nach einer ganzen Weile, daß er noch lebte.
    Er wagte es, die Augen aufzuschlagen, und das kostete eine große Überwindung, weil er sich noch immer nicht im klaren war, ob er noch auf der Erde war oder in einem anderen Leben, von dem so viel in den Kirchen gesprochen wurde und an das er nie geglaubt hatte. Gab es das nun wirklich, war er bereit, Abbitte zu tun und zu bereuen.
    Er war auf der Erde. Vor ihm lag der Pazifik, hinter ihm war die Insel, über ihm wogten die Fächer der Palmen, der Hohlweg ins Innere des Landes war da, die Felsenbarriere, der Strand, rechts von ihm, erstaunlich weit entfernt, der orangen leuchtende Fleck der Gummiinsel … Es hatte sich nichts verändert, nur das Blut tropfte noch aus vielen Rissen und Wunden seines Körpers.
    Dann sah er den Albatros. Er stand im Schatten und rupfte seine blutbesudelten Federn. Brust und Hals des schönen weißen Gefieders waren rot und verklebt, er hatte ein Bein angezogen, stand auf dem anderen Bein gegen den Wind und blickte ab und zu zur Seite auf den elenden Menschen im Sand. Als Bäcker matt die Hand hob, nickte er und zog wieder die Federn durch seinen Schnabel, um so das Blut von ihnen abzustreifen.
    »Du also warst es«, sagte Bäcker gerührt. »Du hast dich allein einem ganzen Heer entgegengeworfen. Welch ein Mut, Vogel! Wärest du jetzt ein Mensch, gäbe es ein großes Trara. Orden, vaterländische Reden, Beförderungen, Heldenlieder, Denkmäler, Ehrentafeln, Aufnahme in Schulbüchern, Alibis für Politiker, Themen für Schulaufsätze … und du stehst nur da, reinigst dir die Federn und hast nichts getan, als eben ein Freund zu sein. Das ist es, Vogel – man braucht einen Freund! Du hast mir das Leben gerettet – ich werde es dir nie vergessen. Nur danken kann ich es dir nicht … ich habe nichts.«
    Er war so gerührt über den Albatros, daß er den Arm ausstreckte, ihn mit den Fingerspitzen gerade berühren konnte und die weichen Federn streichelte. Der Vogel ließ es geschehen und zupfte weiter an seinem Gefieder.
    »Danke –«, sagte Bäcker leise.
    Und er vergaß dabei völlig, daß er eigentlich, wenn er kräftig genug war, sterben wollte.

V
    Um wieder zurück zur Gummiinsel und seinem flachen Deckenzelt zu rutschen, fühlte sich Bäcker zu elend. Er beschloß, den Rest des Tages und die Nacht hier an der Böschung neben dem Hohlweg zu bleiben, sich auszuruhen, seine Wunden mit dem gesammelten Regenwasser zu kühlen und auszuwaschen und morgen früh, gleich nach Sonnenaufgang, den Rückweg anzutreten.
    Er umfaßte mit beiden Händen sein Bein, legte es unter Stöhnen und Zähneknirschen zurecht, packte es wieder in nassen Sand und lehnte sich gegen den Hang. Vom Meer her zogen tiefe dunkle Wolken, das Wasser wurde grünlich, der Wind rauschte durch die Zweige und der Albatros hüpfte davon, stellte sich eng an die Böschung und senkte den Kopf.
    »Es gibt einen Sturm, was?« sagte Bäcker. »Und Regen, viel Regen! Ich kann's gebrauchen, Vogel. Er spült mir die ganze Vogelscheiße von der Haut und den Schweiß aus den Wunden. Oh, ich möchte mich jetzt vom Regen durchweichen lassen. Ich sehne mich nach Wasser. Wie das Meer sich verändert! Jetzt wird es wieder ein Ungeheuer –«
    Die Wolken schoben sich zusammen, öffneten sich dann und gossen den Regen aus wie aus Eimern. Der Wind verdichtete sich zum Sturm, aus dem Sturm kreißte heulend ein Orkan, das Meer brüllte auf, und Bäcker hob die Fäuste und drohte zurück und brüllte: »Du Miststück von einem Meer! Jetzt bist du wieder so, wie du mir Viktoria und die Kinder genommen hast!«, und er preßte den Rücken gegen den Hang, schüttelte die geballten Fäuste, verfluchte das Donnern der Wellen, das Heulen des Sturmes und den rasenden Himmel. Alle Bilder seines eigenen Unterganges kehrten zurück und tobten in ihm mit dem Wind um die Wette. Dabei saß er im strömenden Regen und badete sich in der belebenden Kühle, ließ alles von sich abspülen und rieb seinen Körper ab.
    »Jetzt erwischst du mich nicht mehr!« schrie er dem Meer entgegen, das weit über den Strand brandete, bis nahe an die einsame Gummiinsel. »Du müßtest schon den Himmel ersäufen, um mich zu kriegen!«
    Es war ein Wunder, wieviel Mut und Kraft

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