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Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater

Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater

Titel: Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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diese flatternde Masse, immer hinein in diesen weichen, kreischenden Berg, der auf ihn herunterfiel, und er traf, er konnte gar nicht verfehlen, denn um ihn herum gab es nichts mehr als Vögel.
    Ein paar der Riesenmöwen fielen in den Sand, taumelten benommen, brachen in sich zusammen und blieben liegen. Andere schwankten zum Meer, legten sich auf das Wasser, mit ausgebreiteten Flügeln, als könne jede Welle ihre Wunden heilen.
    Die zweite Angriffswoge. Dichter aufgeschlossen, mutiger, eine Mauer aus Schnäbeln. Bäcker hieb um sich, ließ beide Arme kreisen, sein Beil schlug Schneisen in die Wolke, sein Hammer dröhnte gegen Köpfe und Körper. Und dabei brüllte er, seine Stimme überschlug sich, bis er glaubte, daß seine Lungen platzten.
    »Nicht mit mir!« schrie er. »Nein! Nein! Da, wieder eine! Und du! Und du! Ihr Mistbrut! Ha, das war dein Kopf, nicht meiner! Und noch einmal! Verfluchte Bande! Verfluchte! Verfluchte! Nur zu, nur zu! Und noch einer! Und du auch! Ich habe ein Beil! Jeder Schlag ist ein Treffer! Seht ihr nun, daß ich noch kein Aas bin?!«
    Seine Arme begannen zu schmerzen, Schnabelhiebe trafen ihn trotz seiner unentwegt kreisenden Hände. Blut brach aus den Wunden, die diese schreienden, schnellen, gefiederten Mörder in seinen Kopf schlugen. Blut rann ihm über die Augen, verklebte den Blick, machte ihn fast blind. Aus seinen Mundwinkeln floß es über seine Lippen, und der süßliche Geschmack signalisierte ihm die Wahrheit: Du hast verloren! Sie zerhacken dich bei lebendem Leib! Dein Blut macht sie wahnsinnig. Sie sind wirklich wie Haie … Haie mit Flügeln …
    Er spürte seine Arme nicht mehr, und als die zweite Angriffswelle elegant abdrehte und der dritten Platz machte, der letzten, alles vernichtenden Flut, gegen die es keinen Widerstand mehr gab, merkte er, daß er gar nicht mehr um sich schlug, sondern nur dasaß, Hammer und Beil in den Händen hielt und keine Kraft mehr in ihm war, sie auch nur einen halben Meter hochzuheben.
    »So geht's nun zu Ende«, sagte er schwach. »Nicht das Meer, nicht die Sonne, nicht der Durst, nicht du, verfluchtes Bein … sondern Vögel! Ich werde begraben werden unter Vogelscheiße … Herr im Himmel, welch ein Tod! Habe ich den verdient?«
    Er ließ Hammer und Beil in den Sand fallen, schlug die Hände vor die Augen und zitterte hemmungslos vor Angst. Schweiß rann über ihn wie Regen und vermischte sich mit dem Blut, biß in den Wunden und machte diese letzten Minuten zu einer wahren Höllenqual. Der Kopf fiel ihm auf die Brust – er war der kraftloseste Mensch auf der Welt.
    Kommt, dachte er, kommt doch. Macht ein schnelles Ende. Ihr seht doch, ich ergebe mich. Soll ich mich wie ein Tier auf den Rücken werfen und Arme und Beine von mir strecken? Wie ist dieses Sterben überhaupt? Lebt man, bis sie einem das Herz heraushacken, oder wird der Tod so gnädig sein und sie eine Schlagader treffen lassen? Verbluten, so heißt es, ist ein sanfter Tod. Die große Müdigkeit schleicht über einen hinweg, man entgleitet dem Leben mit einer geradezu perversen Leichtheit. Mein Gott, so kommt doch endlich. Wo bleibst du denn, du dritte Welle?
    Das Kreischen der Kampfmöwen wurde noch schriller, gellender. Aber seltsamerweise spürte er ihre scharfen Schnäbel nicht mehr, ihre Flügel schlugen ihn nicht mehr wie mit Peitschen. Er senkte den Kopf, kroch in sich zusammen und fror vor Grauen. Es gibt ein Stadium, dachte er, wo man den Schmerz nicht mehr spürt. So wie das Ohr eine Tongrenze hat, hinter der es nichts mehr hört, so hat auch der Schmerz eine Grenze, hinter der die Weite des Nichts liegt. Aber ich denke noch, mein Gott, ich kann noch klar denken … das ist die merkwürdigste und größte Entdeckung: ein schon im Tode Stehender kann klar denken!
    Plötzlich war die kreischende tödliche Wolke weg. Das Rauschen der Flügel entfernte sich. Bäcker sah nicht, wie sich die dritte Angriffswelle wie auf ein Kommando drehte, exakt abschwenkte und sich hoch in den heißen Himmel hob. In einem weiten Bogen zog sie davon und strich um die Felsnase herum zu einem anderen Teil der Insel. Dafür blieb ein einsames, dunkleres, kräftiges, fast trompetendes Kreischen zurück.
    Das große Halali, dachte Bäcker. Und ich denke noch immer …
    Dann war plötzlich Stille. Bäcker lag reglos an der Böschung und wunderte sich, daß sich die Stille mit sanften, neuen Geräuschen auffüllte.
    Das Rauschen des Meeres, das Singen des Windes in den Palmen, ein paar

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