Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater
rechte Bein, dann links auf dem Ast ein Stück vorwärts, der Knochen, der den Kampf verloren hatte, pendelte mit … dann wieder einen Schritt vor mit rechts, abgestützt, links mit dem Ast weiter … und so ging es langsam voran … ein Schritt … zwei Schritte … drei Schritte … an der Böschung entlang, durch die abgerissenen Palmblätter, über die Bambusrohre, vorbei an den zerfetzten Büschen, den Ästen, den Wurzeln, den vom Wind geköpften Blüten … vorwärts, vorwärts … Meter um Meter … den Kopf in dem Nacken … und der Albatros lief nebenher, schrie gellend, schlug mit den breiten Flügeln und klagte gegen den Wind.
»Meine Welt!« schrie Bäcker und stapfte weiter. »Meine ganze große Welt! Hier bin ich: Werner Bäcker!« Er blickte zur Seite und lachte, als er den nervösen Albatros herumhüpfen sah. »Komm, Vogel, komm! Das hier wird eine herrliche Welt werden. Was weißt du, wieviel wert ein geschenktes Leben ist!«
Nach zwanzig Schritten blieb er erschöpft stehen, lehnte sich an die Böschung, stützte sich auf den Ast, legte den Kopf auf die Unterarme und schloß die Augen.
Er verstand, warum Gott bei der Schöpfung am siebten Tag ausruhen mußte.
Gegen Mittag war er wieder kräftig genug, um zu seiner Gummiinsel zurückzukehren. Es war ein stolzer Augenblick, dem Meer, diesem verhaßten, mörderischen Meer aufrecht gegenüberzustehen, und Werner Bäcker blieb hoch aufgerichtet, stumm und mit verkniffenen Augen am Ufer stehen, als wolle er nichts, als diesem Meer zu zeigen: Sieh her, hier bin ich! Unser Kampf geht in die nächste Runde.
Bis in die Nacht hinein schleppte Bäcker seine Vorräte bis dicht an die Böschung hinauf, aus der Reichweite der See hinaus. Er schwang sich auf seinem dicken Ast hinunter zum Ufer und hinauf zum Hang, holte die Werkzeugkiste, die Apotheke, die Beutel und Flaschen, den Kanister und zuletzt die Gummiinsel selbst, eine verdammte mühselige Arbeit, bei der er außer Atem kam und seine letzte Kraft für diesen Tag verbrauchte. Die Nacht verbrachte er sitzend am Hang, aber so müde er war, er konnte nicht schlafen.
Ich stehe, dachte er immer wieder. Wer denkt daran, welch ein Glück es ist, aufrecht zu stehen …
Am nächsten Morgen holte er die letzten Sachen vom Strand und hatte nun alles, was er besaß, nahe unter dem Hügel und den weitausladenden, stolzen Palmen. Die Sonne brannte gnadenlos, am Nachmittag regnete es eine Stunde, dann trocknete die Hitze noch einmal alles aus, bevor die Glut in herrlichen, goldgestreiften Farben im Meer versank. Es war ein jetzt immer wiederkehrender Rhythmus, und Bäcker paßte sich ihm an.
Er arbeitete nur in den Morgen- und Abendstunden und in der Nacht, wenn die Sterne und der Mond eine ständige tiefblaue Dämmerung hervorzauberten und ihr Abglanz in der jetzt spiegelglatten See schimmerte.
Bäcker sammelte und schleppte alles heran, was jetzt herumlag: Palmblätter, Äste, Bambusrohre, Wurzeln, Dornbüsche, Zweige von Büschen, biegsam wie Weiden und bestens zum Flechten geeignet. Aus allem baute er auf vier Stützen ein Dach und davor eine grüne Wand, die seinen Lagerplatz verdeckte. Wenn er hier lag, empfand er ein Gefühl der Sicherheit. Er war, in die Landschaft hineingekrochen, irgendwie unsichtbar geworden … selbst vom Meer aus sah man nur Holz und Palmblätter. Er überzeugte sich davon, schwang sich auf seinem Ast hinunter zum Strand und freute sich über sein Werk.
»Das ist der Anfang, Vogel –«, sagte er zu dem Albatros, der das Dach neugierig betrachtete und draußen in der Sonne blieb, als Bäcker fröhlich im Schatten saß. »Weißt du, ich habe gelernt, Häuser zu bauen. Das ist ein schöner Beruf … man schafft kleine eigene Welten, und das wäre eigentlich der Sinn vom Paradies auf Erden, wenn es nicht immer wieder jemand gäbe, der das alles wieder zerstört. Warum? Frage das nicht, Vogel … darauf weiß kein Mensch eine Antwort. Wir bauen etwas auf, um es später wieder einzureißen. Für soviel methodischen Wahnsinn gibt es keine Erklärungen. Wir aber, mein Freund, machen es anders. Wir werden uns hier ein Haus für die Ewigkeit bauen. Eine begrenzte Ewigkeit, Vogel. Wenn alles gutgeht, werde ich noch vierzig Jahre leben, aber in diesen vierzig Jahren wird Frieden sein. Vierzig Jahre Frieden … das ist für einen Menschen fast undenkbar!«
So gingen die Tage und Nächte dahin mit Schlafen und Arbeiten, mit Herumschleppen von Bambus und Ästen und Blättern, mit
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