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Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater

Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater

Titel: Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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zum Leben mit diesem Regen in ihm geboren wurde, aber er merkte es nicht in seiner Wut gegen das Meer.
    Er schlief sogar erschöpft ein, lag im rauschenden Regen, und so lag er auch noch am Morgen, als die Sonne – schon in dieser Frühe mit einer weißglänzenden Glut – emporstieg und das nasse Land sich in silbrigen Dunst hüllte. Aus Tausenden von Blüten über dem Hang strömte ein süßer Duft des satten Lebens.
    Bäcker blickte um sich. Ein Teil der Palmen über ihm waren zerschunden und zerrupft, durch den dichten Bambuswald hatte eine Sense des Windes einen Weg geschlagen und die langen, zierlichen Stämme über den Strand verstreut. Dicke Äste, ausgerissene Büsche, knorriges Wurzelwerk und Palmenblätter, die wie riesige grüne Federn aussahen, bedeckten weithin den Sand. Nahe dem Hohlweg, der wie ein Trichter gewirkt haben mußte, stapelte sich ein Haufen langer Bambusstangen. Unten am Meer zog sich ein Streifen Treibholz entlang, an den Felsen erschlagene Schildkröten und Ballen von Blasentang. Und auch der Albatros war wieder da, sein Gefieder war vom Blut reingewaschen, es leuchtete weiß und seidig in der Sonne, er hüpfte wieder auf beiden Beinen und klapperte mit dem langen Schnabel.
    Von Bäckers Körper dampfte die Feuchtigkeit, er hatte sich mit Regen vollgesogen wie ein Schwamm.
    »Jetzt siehst du, Vogel, was eine Schöpfung ist«, sagte Bäcker und dehnte sich im Sitzen. Es tat gut, diesen neuen, völlig veränderten Tag zu erleben. »Es kam ein Sturm, es brüllte das Meer, der Himmel zerbarst … aber sie brachten mir Holz. Weißt du, was das für mich bedeutet? Holz! Ich brauche nicht mehr diesen verdammten Hang zu erklettern, ich kann mir jetzt Schienen machen, Stützen, Krücken, mein Bein kann ich besiegen … ich kann mir ein Dach bauen, auf schönen festen Pfosten, und mit den Blättern decke ich es ab. Ich beginne ganz von vorn. Vogel, ich habe gesiegt!«
    Er aß und trank von seinem Vorrat und machte sich dann an die Arbeit.
    Zuerst konstruierte er eine Schiene aus Bambusrohr. Das war eine einfache Sache. Stangen fest um das Bein gewickelt, rund herum, ein Röhrenkorsett von den Knöcheln bis zu den Hüften, gebunden mit den langen biegsamen Palmwedeln, deren Fasern einen guten Zug aushalten konnten. Nach dieser Arbeit hatte er Hammer und Beil frei, beugte sich vor, hieb das Beil in einen dickeren Ast vor sich und zog ihn heran. Mit beiden Händen rammte er ihn in den Sand, so tief, daß er von allein stehenblieb, umklammerte ihn dann und blickte an seinen Armen vorbei auf den Albatros.
    »Jetzt, Vogel, kommt der große Moment!« sagte er. »Erschrick nicht, wenn es mir gelingt. Jetzt bist du noch größer als ich, aber wenn ich stehe, bin ich ein Riese für dich, Lauf nicht weg, Vogel, bleib mein Freund, auch wenn ich aus dem Sand aufgetaucht bin …«
    Er atmete tief ein, biß die Zähne zusammen und zog. Das gesunde Bein stemmte er in den Boden und zog sich langsam in die Höhe. In seinem gebrochenen Bein raste wieder der Schmerz, aber er übertönte ihn, indem er zu brüllen begann. »Ruhe!« brüllte er. »Ruhe da drinnen! Es nützt dir nichts. Ich bin stärker als du, stärker!«
    Und dann stand er. Zum erstenmal seit fünf Wochen stand er aufrecht, klammerte sich an den in den Boden gerammten Ast, nahm noch zwei dicke Bambusrohre zur Hilfe, drückte die Stirn gegen das knorrige Holz und atmete laut und pfeifend und mit weit offenem Mund.
    Er war wieder ein Mensch! Er konnte sich dehnen und recken, den Rücken durchdrücken und den Kopf frei nach allen Seiten drehen. Er konnte im Wind stehen und kam sich der Sonne so nahe vor, daß er die rechte Hand ausstreckte, den Arm hochwarf und das Gefühl hatte, in die Sonne zu greifen.
    »Sieg!« brüllte er dabei. »Sieg! Herrgott, sieh auf mich herab! Ich stehe! Verdammt, ich habe dich immer verleugnet … nimm zur Kenntnis, daß ich deine Anwesenheit ahne. Ich danke dir.«
    Er riß das Taschentuch von seinem Kopf, knotete es an eine der Bambusstangen und schwenkte es hoch über sich wie eine Fahne.
    »Leben, ich grüße dich!« schrie er aus voller Brust. Tränen rannen ihm über das Gesicht, und sein dichter, verfilzter Bart sog sie auf. »Ich komme dir entgegen, Leben! Himmel, Sonne, Meer, Sand, Bäume und du, Vogel, seht mich an: Ich fange an zu gehen …«
    Er klemmte den dicken Ast unter die linke Achsel, stützte sich darauf, zog das gebrochene Bein in seiner Bambusschiene etwas an und begann mit dem ersten Schritt. Erst das

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