Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater
Gegenbesuch.«
Auf dem Weg zur Bucht, der sanft den Hang hinabführte, durchbrach er Mangrovengebüsch, entdeckte Yam- und Tarowurzeln und erinnerte sich daran, daß man sie essen konnte und daß sie von gutem Geschmack waren. Er kam an Flächen von Tiare- und Frangipani-Blumen vorbei und atmete den starken, aufreizenden Geruch der Essenzpflanzen ein und die verschwenderische Süße des Hibiskus.
»Aber kein Wasser!« sagte Bäcker zu dem Albatros. »Siehst du Wasser, Vogel? Eine Quelle? Einen Bach? Nichts! Vielleicht irgendwo dort hinten auf der anderen Seite? Wir werden sehen. Zuerst in diese Bucht und zu den Felsen. Ein böser Felsen. Er ist wie ein Messer, das man in die Insel gestoßen hat.«
Das Wasser floß träge heran und spülte müde über den rötlichen Korallensand. Scharen von Vögeln bedeckten den Strand, und sie flogen nicht auf, als Bäcker am Waldrand erschien, sie drehten nur die Köpfe zu ihm und starrten ihn an. Sie kannten keinen Menschen, sie hatten keine Feinde. Sie hatten nie die Furcht gelernt, es waren glückliche Geschöpfe.
Das flache Wasser, von der Sonne erwärmt wie eine Brühe, wimmelte von Fischschwärmen. Hier war es nicht nötig, sie aus der See zu stechen oder mit einer Angel zu überlisten, man griff nur ins Wasser, und sie schwammen einem in die Hände wie im Märchen vom Schlaraffenland.
Bäcker ging ein paar Schritte ins Meer hinein. Von den Felsen wuchsen wundersame Gebilde in die See und ließen die anrollenden Wellen brechen. Myriaden von Korallentierchen hatten hier in Jahrmillionen bizarre Türme und Bögen aufgehäuft, steinerne Gärten von zauberhafter Filigranarbeit. Aber sie waren gefährlich. Ihre Oberfläche war wild gezackt, und die Spitzen scharf wie Messer. Wen das Meer in seiner Wut hier dagegen warf, dessen Körper wurde zerrissen, als würde man ihn über ein Nagelbrett ziehen.
Bäcker blieb im seichten Wasser stehen. Die Fischschwärme umringten ihn. Glitzernde, pfeilschnelle Leiber schossen an seinen Beinen entlang, und die Vögel umkreisten ihn mit ahnungsloser Vertrautheit.
»Ist das hier wirklich das Paradies, Vogel?« fragte Bäcker. Er fing mit der Hand einen Fisch, hielt den zappelnden Leib in die Sonne und warf ihn dann zurück ins Meer. »Arme Natur, es wird sich alles ändern! Ein Mensch ist gekommen!«
Es fing damit an, daß Bäcker ungewöhnlich große Vogeleier sammelte, wie er sie bisher noch nicht kannte – vielleicht waren es sogar Albatroseier –, mit dem Speer ein Loch hineinbohrte und eines austrank. Es schmeckte etwas herb, fischig, und er sagte sich, daß man sie besser braten oder kochen müsse. Dann nahm er einen Pfeil aus dem Köcher, legte ihn auf die Nylonschnursehne, spannte den Bogen und schoß auf ein entenartiges Tier, das nahe an ihm vorbeiflatterte. Er traf es gleich beim erstenmal. Es stürzte in den Sand, und es war das erste Blut, das durch Menschenhand auf dieser Insel floß.
Nach vier Stunden – es war sein längster Ausflug, und er wunderte sich, daß sein Bein das aushielt – humpelte er durch den Wald zu seiner Hütte zurück, nahm die Ente aus, rupfte sie, würzte sie mit Meersalz und briet sie an einem Bambusspieß.
»Du hast es vorher gewußt, Vogel«, sagte er zu dem Albatros, der mit vorgestrecktem Kopf das gebratene Fleisch roch, wenn er überhaupt riechen konnte. Auch das war neu auf der Insel … der Geruch von über dem Feuer gedrehtem Fleisch. »Kokospalmen, Bambus, Dornen, das Meer, die Sonne, der Himmel, Blumen, ein rundes, volles Paradies – aber kein Süßwasser! Daran muß man sich gewöhnen, das muß man erst verkraften, Vogel. Alles hier lebt nur vom Regen. Wir sind vollkommen in Gottes Hand. Darauf muß man sich einstellen. Ein Leben durch Gnade …«
Aber die Gnade blieb: Es regnete. Jeden Tag oder jeden zweiten Tag, dann blieb der Regen vier Tage aus, aber es war immer genug, um mit der Gummiinsel das Wasser aufzufangen, die Plastikbeutel und den Kanister zu füllen. Die Gummiinsel hing jetzt aufgespannt an acht starken Pfählen, und Bäcker nannte sie ›mein Wasserwerk‹.
Mitte August konnte Bäcker frei, ohne Stock, gehen. Nur ab und zu stützte er sich auf seinen Speer und streckte das zusammengeheilte linke Bein voll aus. Da erst merkte er, daß er hinkte. Mit dem Zollstock maß er seine Beine nach, von der Ferse bis zum Hüftgelenk, dann hatte er Klarheit: Das linke Bein war zwei Zentimeter kürzer geworden.
»Damit wirfst du mich nicht um, Knochen!« knurrte er. »Ist das
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