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Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater

Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater

Titel: Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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deine ganze Rache? Billig, Knochen, billig! Was sind zwei Zentimeter. Ich werde mir eine dicke Holzsohle schnitzen und sie mir unter den Fuß binden. Du machst dich lächerlich, Knochen –«
    Er hatte sich in den langen Tagen angewöhnt, immerzu und mit allem, was ihm begegnete, zu sprechen. Er redete mit dem Wind und dem Meer – das er allerdings nur beschimpfte –, mit dem Sand und den Bäumen, den Blumen und den Fischen, seinen Gliedmaßen und den Kaurimuscheln, seinem Freund, dem Albatros, und dem Regen, der ihn am Leben hielt, seiner Hütte und seinem Bett, seinen Pfeilen und seinem Speer. Es war die einzige Möglichkeit, nicht zu verblöden.
    Solange er an der Arbeit war und seine Hütte und seine Möbel baute, war der Rhythmus seiner Bewegungen Sprache genug, und selbst da sprach er mit dem Beil und dem Hammer, der Zange und den Nägeln; aber wenn er dann herumsaß wie ein reicher Faulenzer vor seiner Bambushütte und unter dem Palmblätterdach, fehlte ihm der Ton einer menschlichen Stimme im Konzert aus Meeresrauschen, Windgebläse, Vogelschrei und Ästeknarren. Dann sprach er mit seinem Paradies wie mit einer Gesellschaft von Menschen; später, mindestens einmal am Tag, sang er laut, aus voller Brust, im Sand stehend, Sonne, Himmel und Meer als Zuhörer. Zuerst sang er Volkslieder, dann Operettenlieder und am Ende Opernarien, ab und zu auch Schlager, aber in dieser herrlichen, grandiosen und verdammten Einsamkeit klangen sie ausgesprochen blöd. Er fand, daß Arien wie ›Land, so wunderbar‹ oder ›Im fernen Land, unnahbar euren Schritten …‹ oder vor allem ›Dich, teure Halle, grüß ich wieder …‹ am besten klangen. Von allen Arien kannte er nur den Anfang des Textes und sang dann mit lalala weiter, später machte er einen eigenen Text dazu und dachte: Den sollte man vorschlagen zur Opernerneuerung. Das sind Worte, die aus dem vollen kommen.
    Wenn er sang, war er selbst ergriffen von seiner Stimme, deren Wohllaut er erst jetzt entdeckte. Er hatte sich nie darum gekümmert … Er hatte Häuser entworfen und gebaut, Geld verdient und das Leben genossen, aber nie gesungen. Jetzt hörte er, daß er etwas verpaßt hatte.
    Im August baute er seine einsamen Darbietungen aus. Er stellte regelrechte Programme zusammen und gab abends Konzerte und Rezitationsvorstellungen. Er begrüßte seine Zuhörer, sang ein ganzes, ausgewähltes Programm herunter, deklamierte Balladen von Schiller, Goethe und Uhland und spielte einmal sogar den Wilhelm Teil, so gut er die Handlung im Kopf hatte. Den großen Monolog vor Geßlers Tod konnte er noch von der Schulzeit fast vollständig auswendig, den anderen Text dichtete er dazu und durchsetzte ihn mit Schillerzitaten aus anderen Dramen. So hielt er sich geistig beweglich und trainierte nicht nur seine Muskeln.
    »Nichts ist schlimmer, als völlig allein zu sein«, sagte er dem Albatros nach einem ›Opernabend mit Verdi-Melodien‹. »Es ist alles Blödsinn, was man von der ›göttlichen Ruhe‹ sagt. Ein Mensch ganz allein auf einer leeren Welt würde verrückt. Es wäre die armseligste Kreatur überhaupt. Aber wir sind hier besser dran, Vogel: Du bist da, tausend Geräusche sind um uns – wir werden nicht verrückt, Vogel!«

VIII
    Immer wenn ein Sturm das Meer hob und donnernde Schlünde aufriß, wenn die Wogen gegen die Insel anrannten und die Palmen sich bogen wie Riesenähren, wenn der Strand im heulenden Wasser versank und der Gischt bis vor die Hütte spritzte, der Himmel zerplatzte und die ganze Welt nur ein wimmernder Aufschrei war, nahm Bäcker die Herausforderung der Natur an.
    Dann stand er draußen im Orkan, umklammerte zwei tief in die Erde gerammte Pfähle, ließ den Wind über sich herfallen und starrte in das mordende Meer. Es waren für ihn die Stunden des Requiems, dann dachte er an Viktoria und die Kinder, dann weinte er und brüllte dem anschäumenden Wasser zu: »Du Mörder! Du Mörder!« Und immer von neuem begriff er gerührt das Wunder, daß er noch lebte.
    Auch an diesem Tage – in der Mitte des August – war es so. Eine Sturmwand war aus dem Meer aufgestiegen, brauste über die Insel hinweg und versuchte erneut, das kleine Paradies zu zertrümmern. Bäcker bezog seinen Kampfplatz zwischen den starken Pfählen, beschimpfte das Meer und brüllte gegen den Sturm und war erleichtert wie nach einem befreienden Kotzen, als der Wind sich legte und er wieder zurück in seine Hütte kriechen konnte.
    »Mich wirfst du nicht mehr um, Natur«, sagte

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