Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater
abschußbereit in dem Lauf der Signalpistole. Eine weiße Rakete.
»Eine scheußliche Situation für Sie, Shirley«, sagte Bäcker. »Sie können nicht Tag und Nacht wach bleiben.« Die Flamme züngelte hoch. Anne legte trockene Zweige darauf. »Einmal schlafen Sie ein, spätestens eine Woche nach meinem Tod. Und dann ist Anne am Zug. Auch auf die Bäume flüchten und wie ein Affe in den Zweigen schlafen nützt Ihnen nichts. Anne wird Ihnen folgen.«
»So sicher, wie es Abend und Morgen wird, Shirley. Ich schwöre es, Shirley –«, sagte Anne feierlich.
»Das ist Ihre Masche, was? Immerzu schwören. Beim lieben Mütterlein. Zum Kotzen!«
Er wandte sich ab, steckte die Pistole in seinen Hosenbund und ging zur Böschung. Dort hatte Bäcker seine ›Vorratskammern‹ aufgefüllt und mit Bambustüren gesichert. In Schüsseln aus Kokosnußschalen sammelte er hier Bambussprossen, zarte, ihm unbekannte Wurzeln, die aber einen Geschmack nach Mohrrüben hatten, nur etwas süßer und weicher, und das Trockenfleisch von geschossenen Enten und großen, gespeerten Fischen. Shirley hatte die Vorräte schon am ersten Tag besichtigt und gesagt: »Sieh an, Yams- und Taro-Wurzeln. Sie leben fürstlich, mein Lieber.«
Jetzt blieb Shirley stehen und blickte zurück zur Hütte. Bäcker und Anne standen nebeneinander, ein Bild, als sei die Welt gerade erschaffen worden.
»Suchen Sie nicht nach Ihren Pfeilen und dem Bogen!« rief Shirley. »Auch die Speere sind weg! Ich habe alles versteckt. Ich bin hier der einzige; der einzige, der bewaffnet ist!«
Nach dem Frühstück gingen sie in den Wald. Shirley, von unbändigem Tatendrang erfaßt, suchte Bäume aus, nicht zu starke Stämme, die man später zu dritt wegschleppen konnte, ritzte sie mit dem Beil an und spuckte dann in die Hände. »Das wären sie –«, sagte er.
Er begann die Bäume zu fällen, ohne lange zu fragen, ob das überhaupt einen Sinn hatte. Er schlug zu wie besessen, ein bulliger Kerl mit Kräften wie ein Bär.
Bäcker bewunderte ihn in diesen Stunden. Gegen ihn habe ich normal keine Chancen, dachte er. Man kann ihn nur überlisten. Warten wir auf eine Gelegenheit.
Shirley fällte an diesem Vormittag vier Bäume. Eine gewaltige Leistung mit dem kleinen Beil. Bäcker mußte mit einer Raspel aus seinem Werkzeugkasten die Zweige entfernen, eine wahrhaft knochenerweichende Arbeit. Anne trug die Laubhaufen zusammen und begann daraus Matten zu flechten. Als Shirley das sah, war er so maßlos verblüfft, daß er eine Pause in sein wahnsinniges Arbeitstempo einlegte.
»Wo haben Sie das denn gelernt?« fragte er.
»Ich habe es den Papuas abgesehen.«
»Und was soll das?«
»Wir brauchen doch Segel. Oder wollen Sie vielleicht tausend Meilen rudern? Mit ein paar Segeln fangen wir den Wind ein …«
»Sie sind eine verdammt rätselhafte Frau, Anne. Sie flechten Segel, damit ich Sie ins Zuchthaus bringe?«
»Nein. Ich flechte sie, um mit Werner hier wegzukommen. An Sie denke ich gar nicht. Vielleicht gibt es Sie nicht mehr, wenn wir mit dem Floß in See stechen.«
»Das ist deutlich.« Shirley lächelte böse. »Die Morddrohungen häufen sich. Ich werde mir für meine Person ein Sicherheitssystem ausdenken, schon für die kommende Nacht. Und vergessen Sie eins nicht … mein Schlaf ist leicht. Das wissen Sie bereits. Der kleinste Laut, und ich bin da.«
»Ich werde lautlos sein –«, sagte Anne ruhig.
»Wie bei Yul, was? Wo haben Sie ihm eigentlich die Kehle durchgeschnitten, das ist bis heute nicht geklärt worden, im Haus jedenfalls nicht. Wir haben kein Blut gefunden. Im Park vielleicht?«
»Sie werden noch mal an Ihrem eigenen Gift krepieren, Shirley«, sagte Bäcker keuchend. Er schabte einen Stamm ab, seine Lungen platzten fast. »Fällen Sie weiter Bäume, das erlöst uns von Ihrem Gequatsche.«
Am Nachmittag schleppten sie die Stämme zum Strand, nahe ans Meer, aber weit genug von einer Flut entfernt.
»Wieviel brauchen wir?« fragte Anne und setzte sich in den Sand.
»Um ein sicheres Floß zu haben – zwanzig bis dreißig Stämme. Bei dem Wellengang des Pazifiks ist aber eine doppellagige Bauweise sicherer, also mindestens vierzig Stämme.«
»So viel für zwei Personen?« sagte Anne laut.
Shirley fuhr herum. »Meine Nerven kriegen Sie nicht kaputt, Anne!« schrie er. »Verflucht, was macht der Mistvogel immer in unserer Nähe?!«
Der Albatros stand hinter Shirley. Er war so zahm geworden, daß Bäcker manchmal mit ihm im Sand saß und den
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