Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater
Körper reißen, wenn man sie aus nächster Nähe abfeuert? Sie sind fürchterlich, Bäcker, und deshalb wäre es klug, wenn Sie ab sofort meinen Befehlen folgten.« Er ahmte Bäckers Tonfall nach, hob die Pistole und schrie voll Hohn: »Ich übernehme die Gewalt über Viktoria-Eiland und verurteile Sie, Werner Bäcker, zur Zwangsarbeit! Los! Aufstehen! Sie auch, Anne! Hinaus! Wir bauen ein Floß!«
Gegen die Pistole gab es kein Argument. Bäcker stand auf, klopfte einige trockene Palmblätter aus seiner Hose und winkte ab, als Shirley herrisch zur Tür zeigte. Wir müssen abwarten, dachte Bäcker. Jetzt ist auch ein Bambusspeer sinnlos, aber vielleicht ergibt sich irgendwann einmal die Gelegenheit, Shirley einen Pfeil in den Rücken zu schießen. Aber das war eine billige Hoffnung – er wußte schon jetzt, daß Shirley ihn nie aus den Augen lassen würde, daß er immer dicht bei ihnen sein würde, daß er ihnen nie den Rücken zudrehte. Es würde sich nie die Möglichkeit ergeben, ihn überraschend anzuspringen. Außerdem war Shirley stärker als Bäcker, beweglicher, er hinkte nicht, hatte kein Bein, das immer noch schmerzte und jede schnelle Bewegung registrierte. Shirley war ganz einfach überlegen.
»Es ist meine Schuld«, sagte Anne und tastete nach Bäckers Hand, als sie aus der Hütte gingen. »Ich bin eingeschlafen.«
»Haben Sie darauf fünf Nächte gelauert, Paul?« fragte Bäcker, als sie in der messingfarbenen Morgensonne standen.
»Natürlich.«
Bäcker zuckte resignierend mit den Schultern. »Sie sind ein zäher Bursche, Shirley.«
»Sie etwa nicht? Machen Sie sich doch nichts vor, Werner. Sie sind nicht zum Robinson geboren. Sie würden ein Bein oder einen Arm hergeben, wenn Sie damit Ihre Freiheit erkaufen könnten. Ihre Insel – das ist doch die Hölle! Das wissen Sie ganz genau. Kein Süßwasser, nur Vögel, Fische, Schildkröten, jenseits der Riffe Haie, und darüber die Sonne, die einem das Gehirn wegbrennt, und ringsherum das Meer, das immer Ihr Feind ist, auch wenn es schläft. Aber dann kam der Tag, an dem Anne angeschwemmt wurde, und plötzlich wird die Hölle zum Paradies! Danken Sie Gott, daß es mich auch hierher verschlagen hat. So ist wenigstens einer da, um für euch vernünftig zu denken.«
»Sie wollen nur in die Freiheit, um Anne einzusperren«, sagte Bäcker heiser.
»Das auch. Aber in erster Linie will ich selbst hier weg! Ich bin ein geselliger Mensch … aber zu dritt hier bis zum Lebensende … grauenvoll der Gedanke! Und stellen Sie sich vor, ich überlebe Sie. Ich mit Anne allein. Bäcker, ich bin ein Mann wie jeder andere, und entgegen aller Vernunft kann ich nicht dafür garantieren, daß ich nicht doch schwach werde.«
»Ich würde Sie lieber umbringen, Shirley!« sagte Anne ruhig.
»Hören Sie, Bäcker, wie glatt ihr eine Morddrohung von der Zunge geht?« rief Shirley triumphierend. »Es steckt einfach in ihr drin.« Er winkte wieder mit der Pistole. »Machen Sie weiter wie bisher, Werner. Es hat sich nur äußerlich was geändert, sonst nichts. Richten Sie das Frühstück, Anne wird Fische braten, ich wärme die Bambussprossen auf. Aber ich warne Sie: Wenn Sie eine Waffe ergreifen, sei es ein Pfeil, ein Stein oder ein Speer – ich schieße sofort!«
»Und was dann?« Bäcker blickte in die noch kalte Sonne. »Dann sind Sie mit Anne allein!«
»Wenn Sie jemals mit mir allein sind«, sagte Anne, und ihre Stimme klang gefährlich leise, »werde ich Sie töten.« In ihren großen braunen Augen stand deutlich die Drohung, die Shirley sehr ernst nahm. »Dann werde ich das sein, was Sie in mir sehen wollen: eine Mörderin. Ich werde Tag und Nacht nur einen Gedanken haben: Wie kann ich Shirley umbringen! Und dann wird es irgendwann einmal diese eine Minute geben, in der es mir gelingt.«
»Und so etwas sprechen Sie frei, Bäcker!« sagte Shirley bitter.
»Anne hat recht, Shirley.«
Bäcker blies in die Asche. Er hatte ein Glutsparsystem entwickelt, um seine Streichhölzer so lange wie möglich zu behalten. In einem Loch im Sand, das er mit Steinen ausgelegt hatte, ließ er die glühende Holzasche langsam weiterglimmen, indem er sie fast luftdicht abdeckte und frisches Palmenholz über die Asche schichtete. Am Morgen räumte er dann die angekohlten Zweige bis auf die untersten weg, blies kräftig in die Asche, und aus der zaghaften Glut wurde das neue Feuer.
Auch heute kniete er vor dem Feuerloch und blies aus vollen Backen. Hinter ihm stand Shirley, eine Rakete
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