Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater
gefangenhielt, hineingewachsen.
Das war jetzt anders geworden: Er war froh, daß die Nacht alles zudeckte und daß er Shirleys laute, rauhe, überlegene Stimme nicht mehr hören mußte. Dann war es wie früher … das Rauschen des Meeres und das Rascheln der Palmblätter im Wind.
Er saß mit Anne vor der Hütte und sah übers Meer, genoß die ergreifende Weite der See und die silbernen Streifen, die der Mond über das träge Wasser zog. »Wir müssen uns darüber klar werden, Anne«, sagte er, »was in den nächsten Wochen passiert. Das Boot bauen oder hierbleiben. Etwas anderes gibt es nicht. In beiden Fällen bedeutet es für Sie lebenslänglich. In Papeete ist es die Zelle, hier auf der Insel das Meer, das Sie für immer gefangenhält. Sie haben keine große Auswahl, Anne.«
Sie legte den Kopf gegen seine Schulter, und er empfand es als sehr angenehm und spürte ihre verhaltene Zärtlichkeit, die zu ihm drängte.
»Trauen Sie mir zu, daß ich meinen Mann getötet habe?«
»Ich habe Yul nicht gekannt.«
»Er war groß, stark wie ein Stier. Auf den ersten Blick imponierte er, auf den zweiten wurde er lästig, nach dem dritten Blick war er unerträglich. Er betrachtete alles als sein Eigentum – die Farm, die Boys, die Mädchen, mich. Alles nur Inventar. Man hätte hundertfachen Grund gehabt, ihm die Kehle durchzuschneiden … aber ich habe es nicht getan. Ich nicht!«
»Kann es einer der Malaien gewesen sein?«
»Für sie war er der Große Herr. Auch im 20. Jahrhundert gibt es noch eine Art Sklavenbewußtsein. Nein – sie hätten es nie getan. Sie bewunderten seine Stärke, die ich haßte. Aber Yul hatte einen Bruder. James Perkins.«
»Auf Nuku Hiva?«
»Nein, er ist Koprapflanzer und Exporteur auf Fakarava. Das ist eine der größten Inseln im Tuamotu-Archipel. Ab und zu besuchte er uns mit seinem eigenen Flugzeug. Er kam immer unerwartet, nur um Yul mit einem geradezu wahnsinnigen Haß anzusehen und zu sagen: ›Verreck, du Hund! Warum lebst du noch? Im Himmel gibt es keine Gerechtigkeit mehr. Gott schläft! Aber ich werde die Teufel mobilisieren!‹ Dann flog er wieder ab. Yul lachte über ihn, in seiner abscheulichen Art, und nannte James einen Idioten.«
»Und warum dieser Bruderhaß?«
»Yul hat vor sechs Jahren James' Frau verführt, eine wunderschöne Eingeborene, so wie sie Gauguin einmal gemalt hat. Als sie merkte, daß sie ein Kind von ihm bekam, und es ihm sagte, warf er sie vor die Tür und hetzte den Hund auf sie. Sie sprang von den Klippen ins Meer, mitten in ein Haifischrudel hinein. Es war grauenhaft. Und Yul sagte dazu: ›Nur ein Papuaweib! James soll sich nicht so anstellen! Von denen gibt es so viele wie Kaurimuscheln.‹ So war Yul –«
»Hat man James auch verhört?«
»Natürlich. Aber als Yul verschwand, war er auf den Tonga-Inseln. Dafür gibt es neun Zeugen. Sie sehen – es bleibt an mir hängen.«
Sie legte sich hin, bettete ihren Kopf in Bäckers Schoß und breitete ihre Haare über das Gesicht wie einen Vorhang. Er streichelte ihren Hals, ihre Schultern und die kleinen, spitzen Erhebungen ihrer Brüste und genoß den schweren Druck, der plötzlich auf seinem Herzen lag.
Sie hat es nicht getan, dachte er. Es interessiert mich auch nicht mehr. Sie ist hier, als solle die Schöpfung von neuem beginnen, das allein ist wichtig. Ich werde mich an sie gewöhnen, sie wird mir unentbehrlich sein, ich werde sie lieben – das ist ein ganz natürlicher Vorgang. Alles andere will ich vergessen … es ist weit weg. Wir fangen von vorn an mit unserem Leben …
Aber da ist Shirley, diese gefährliche Ladung Energie. Da ist sein verdammter Einbaum und sein Drang, Anne lebenslänglich in eine Zelle zu bringen. Er wird in drei, vier Monaten sein verfluchtes Boot fertig haben, auch wenn wir ihm nicht dabei helfen.
Kain, der Kraftmensch, erschlug Abel, den Sanften. Warum soll es nicht einmal umgekehrt sein?
»Sie wissen nicht, was Sie glauben sollen, nicht wahr?« sagte Anne. Sie hielt seine Hand fest, die auf ihrer Brust lag. »Und Sie haben recht. An einen Menschen blind zu glauben ist töricht und naiv, ja fast schon pervers. Ja, wenn er aus Glas wäre, und man könnte alles in ihm sehen …«
»Ich liebe dich, Anne –«, sagte Bäcker langsam. »Ich kann mich nicht mehr dagegen wehren. Ich will mich auch nicht mehr wehren …«
Er strich ihr die Haare aus dem Gesicht, beugte sich über sie und küßte sie. Sie schlang die Arme um seinen Nacken und drückte seinen Kopf nach
Weitere Kostenlose Bücher