Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater
einmal blutete ich aus der Nase.«
»Hui! Das wußte ich noch gar nicht! Noch ein Mordmotiv!« Shirley rieb sich die Hände. »Bäcker, Ihr Gerichtsspiel ist verdammt von Nutzen, ich hätte das nicht gedacht. Altersunterschied, Brutalität, Millionenerbschaft, Lebenslust … zwischen diesen vier Pfählen hängt man Sie auf, Anne!«
»Hatten Sie einen Geliebten?«
Bäcker kaute an dieser Frage wie auf Gummi. Aber sie mußte sein – er war sicher, daß Anne sie nicht beantworten würde.
»Sagen Sie die Wahrheit, Anne.« Bäckers Stimme klang heiser. »Wir sind hier nur zu dritt. Drei Menschen auf einer einsamen Insel. Wir sollten jetzt bis zur Selbstzerfleischung ehrlich sein …«
»Ich hatte keinen Geliebten –«, sagte Anne Perkins laut. »Auf Nuku Hiva gab es keinen, der mir gefiel.«
»Aha! Ein halbes Geständnis!« rief Shirley munter. »Hätte es damals schon einen Werner Bäcker gegeben, wäre die Dame umgefallen –«
»Lassen Sie Ihre dämlichen Zwischenrufe, Paul!« sagte Bäcker ärgerlich. »Sie sind doch zu blöd!«
»Zu Befehl, Euer Ehren.« Shirley setzte sich zurück auf seinen Wurzelstock. Er streckte die Beine weit von sich und zog das Tuch wieder über seinen Schädel. Er schien mit der Unterhaltung zufrieden zu sein. Man hatte mehr erfahren als vorher in drei Monaten. »Was nun? Hat das Gericht sich ein klares Bild machen können? Einen Dreck hat es. Von Ihrer Seite, Bäcker, ist alles nur dummes Gerede, von meiner Seite aber Beweise: Kleid, Dolch, Leiche, Foto! Die Anklage verzichtet auf weitere Worte.«
»Und Sie, Anne?« fragte Bäcker. Er blickte in ihre großen Augen, und er sah nichts als das Flehen um Vertrauen. »Sie haben das letzte Wort, Anne.«
Sie hob die schmalen Schultern und wandte sich ab. Es war, als wolle sie das Meer als Zeugen anrufen. Dieses Meer, das den Sack mit Yul Perkins' Leiche umspült hatte, das Meer, das den Mörder gesehen hatte, wie er den Sack zwischen die Klippen warf, das Meer, das so niederträchtig war, den Sack mit der Leiche nicht wegzureißen ins Weite, wo er für immer verschwunden wäre, sondern ihn zwischen den Felsen festklemmte.
»Ich schwöre es: Ich war es nicht«, sagte sie kaum hörbar.
»Wie melodramatisch!« Shirley lachte laut. »Der Schwur eines Mörders ist wie das Rülpsen eines Vollgefressenen. Ihr Urteil, Lord Bäcker –«
Bäcker winkte ab. Shirleys Stimme ekelte ihn an. »Was ist Ihnen das Liebste auf der Welt, Anne?« fragte er.
»Ich weiß es nicht.« Sie sah ihn angstvoll an. Es war klar, sie verstand ihn nicht. »Ich habe nichts, was mir das Liebste sein könnte. Mit 24 lernte ich Yul auf der Düsseldorfer Messe kennen. Acht Wochen danach heirateten wir. Ich fuhr mit ihm in die Südsee. Damals glaubte ich, in ein Paradies zu kommen – es war die Hölle! Nichts war darin, was mir lieb war. Doch ja – ich habe etwas.« Sie senkte den Kopf. Die Haare wehten über ihr Gesicht, durch die schnelle Bewegung hatte sich der Bindfaden um den Knoten im Nacken gelöst. »Meine Mutter. Ich bin damals von ihr, von zu Hause, weggelaufen – mit Yul. Einfach weil ich glaubte, daß ich ihn liebe. Heute weiß ich, daß meine Mutter der einzige Mensch ist, der mich liebt und den ich liebe.«
»Schwören Sie bei Ihrer Mutter, Anne –«, sagte Bäcker feierlich. Er konnte sie gut verstehen. Er dachte an seine Familie, an Vicky und die Kinder – sie waren ihm auch das Liebste auf der Welt gewesen. »Können Sie bei Ihrer Mutter schwören, Anne?«
»Ja.« Sie starrte Shirley an, dessen Grinsen unter diesem Blick erfror. »Ich habe Yul nicht getötet, ich schwöre es bei meiner Mutter.«
Bäcker atmete auf. Shirley schüttelte den Kopf, sprang von seinem Sitz hoch und hieb die Fäuste gegeneinander.
»So ein Blödsinn! Das ist ja widerlich!« schrie er. »Diese Frau schwört alles! Sie schwört Gott ein Loch in den Bauch!«
»Verdammt! Seien Sie endlich still!« schrie Bäcker zurück. »Mag sein, daß Ihnen der Haß und mir die Sympathie für Anne den klaren Blick trüben, aber eins, Paul, müssen Sie zugeben: Es klang ehrlich.«
»Zu ehrlich, Werner.«
»Machen wir Schluß.« Bäcker erhob sich. »Das Gericht hat sich ein Bild gemacht und hat seine Entscheidung getroffen. Nein, unterbrechen Sie mich nicht, Paul, das hier ist jetzt eine feierliche Handlung, eine Ausübung meiner Hoheitsrechte auf Viktoria-Eiland. Ich spreche Anne Perkins von der Anklage des Mordes an ihrem Mann Yul Perkins frei. Anne, Sie brauchen keine Angst mehr
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