Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater
lügen zu können. Er konnte zwar falsche Worte sprechen, aber in seinen Augen lag immer die Wahrheit.
An diesem Tag noch begannen sie mit dem Ausbrennen des Baumes. Obgleich ihre Beine vor Müdigkeit zitterten und Bäckers verbranntes Gesicht neu zu verglühen schien, vertieften sie mit Hammer und Meißel und Beil die Höhlung, bis das trockene Reisig eine so gute Angriffsfläche hatte, daß man es wagen konnte, es in Brand zu setzen.
Shirley prüfte die Mulde und sah Bäcker zweifelnd an. Es war saftiges, festes Holz, strotzend vor Leben.
»Wenn hier das Feuer anpackt, melde ich alle physikalischen Gesetze ab«, sagte er. »Das wird nicht einmal glimmen. Haben Sie schon durch und durch feuchtes Holz zum Brennen gebracht?«
»Wenn es ankohlt, haben wir schon gewonnen, Paul. Wir schlagen die verkohlten Teile heraus und arbeiten uns so langsam in die Tiefe.«
»Wenn Sie Glück haben, können Sie den Einbaum Anne zu Weihnachten schenken.«
Bäcker nickte. »Wenn wir das bis dahin schaffen, haben wir eine große Leistung hinter uns, Shirley. Ich rechne gar nicht mit Weihnachten. Ich fange an, überhaupt nicht mehr zu rechnen. Am liebsten möchte ich meinen Kalender ins Meer werfen und keinen Tag mehr zählen. Wozu? Ist es wichtig, ob heute der 3. September ist? Oder der 29. November? Ob 1965 oder 1967? Das hat doch alles keine Bedeutung mehr. Wir leben einen Tag, legen uns hin, schlafen, wachen auf und sehen einen neuen Tag. Aha, sagen wir. Es geht weiter. Wieder ein Tag! In die Hände gespuckt! Essen, trinken, arbeiten, um nicht stumpfsinnig zu werden, die Sonne verfluchen, das Meer beschimpfen, auf Regen warten … und glücklich sein, daß man überhaupt lebt. Wenn man sich darauf einstellt, Shirley, ist das Leben auf dieser Insel nicht das schlechteste. Und vergessen Sie nicht: Anne ist hier!«
»Für Sie! Und in Papeete heult sich Betty die Augen aus und legt Blumen an einen Gedenkstein, der meinen Namen trägt. Sie mögen vielleicht zum Robinson geboren sein, ich nicht! Und nachdem ich die Totenstätte gesehen habe –«
»Dann meckern Sie also nicht über das nasse Holz, sondern spucken Sie wie ich in die Hände, um diesen Baum zu einem Boot umzufunktionieren! Im Umkreis von hundert Meilen gibt es Menschen, das wissen wir jetzt. Und wir werden sie erreichen … mit diesem verdammten Baum!«
»Hurra! Hurra! Hurra!« Shirley nahm Bäcker das flammende Holzstück aus der Hand und brannte damit das in die geschlagene Mulde gelegte Reisig an. Das Feuer breitete sich schnell aus, lief prasselnd den Stamm entlang; nicht eine Minute dauerte es, und dichter Qualm hüllte Shirley und Bäcker ein. Hustend flüchteten sie ein paar Schritte zurück.
»Was glauben Sie, werden die Eingeborenen mit uns anstellen, wenn wir von ihrer Toteninsel kommen?« sagte Shirley. »Es ist Ihnen doch klar, daß alle Inseln im Umkreis seit langem von unserer Anwesenheit wissen und die Medizinmänner längst ihren großen Tamtam begonnen haben. Sie beschwören die Seelen der Toten, uns, die Verfluchten, nicht mehr loszulassen. Da nützen auch die Missionare wenig, wenn jemals einer hier in der Gegend herumgezogen ist. Ich habe erlebt, wie am Sonntagvormittag der Meßdiener in der Atoll-Kapelle von Aki-Aki den Weihrauchkessel schwenkte und am Nachmittag beim Medizinmann um ein Amulett gegen den Geist seines bösen Onkels bettelte.« Shirley ging noch ein paar Schritte zurück. Der Qualm hatte sie eingehüllt und biß auf der von Sonne und Salz gereizten Haut. »Noch zehn Minuten, und aus Ihrem Reisig sind Glühwürmchen geworden, Werner. Das Feuer packt nicht mal die Oberfläche an.«
»Und wenn nur zwei Millimeter verkohlen … wir kommen weiter!«
Bäcker winkte hinüber zu Anne. Sie lief von der Hütte hinunter zum Strand und trug auf dem Deckel des Verbandskastens eine dampfende gebratene Ente.
»Eine Art Richtfest!« rief sie und hob den Braten hoch über den Kopf. Sie trug nur einen Rock; ihr Oberkörper mit den schönen, festen Brüsten war nackt, und es war so selbstverständlich wie die Palmen auf der Anhöhe, der Sand unter ihren Füßen und das Meer bis zum Horizont.
»Sie ist wirklich eine einmalige Frau«, sagte Shirley leise. »Man sollte Ihnen gratulieren, Werner. So etwas gibt es in einem Jahrhundert nur ein paarmal, und gerade Sie müssen eine davon erwischen.«
»Und so eine Frau halten Sie für eine Mörderin, Shirley …«
»Vergessen wir das.«
»Für immer?«
»Für immer!«
Sie aßen die gebratene Ente
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