Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater
und warteten, bis das Reisig verglüht war. Dann fegten sie die Asche weg und untersuchten, wie tief sich das Feuer in die Mulde gefressen hatte. Es war entmutigend; man konnte mit dem Fingernagel die verkohlte Schicht abkratzen. Sie war in Millimetern gar nicht auszudrücken.
»Bei einer Sitztiefe von sechzig Zentimetern dürfte es Weihnachten 1966 werden«, sagte Shirley sarkastisch. »Reduzieren wir auf fünfzig Zentimeter, ist es Pfingsten soweit. Wir werden diese Ausschüttung des Heiligen Geistes jedoch als Irre erleben. Oder glauben Sie wirklich, Sie drehen nicht durch, wenn Sie ein ganzes Jahr lang an diesem verdammten Baum Flämmchen anzünden und Asche wegschaben? Außerdem werden Sie den halben Wald für Ihr Ausbrennen abholzen und zuerst trocknen müssen.«
»Irrtum, Shirley. Von Tag zu Tag wird der Stamm trockener. Wer das Feuer zum Verbündeten hat, ist immer der Stärkere. Los, setzen Sie nicht zu neuen Reden an … hacken Sie!«
Sie arbeiteten, bis die Nacht über das Meer kroch. Anne versorgte sie mit kaltem Wasser, das sie ganz mild mit Meersalz versetzte, weil der Schweiß den Männern aus den Poren quoll, als seien es tausend kleine Quellen. Da war es wichtig, den Salzverlust auszugleichen.
Am köstlichsten aber war die Kokosmilch.
Da keiner von ihnen die Fertigkeit der Eingeborenen besaß, mit nackten Füßen und bloßen Händen affenähnlich die rauhen Stämme hinaufzuklettern, versuchte es Anne mit dem Bambusspeer. Sie warf ihn wieder und wieder gegen die Kokosnußtrauben, und es war eine schwere Arbeit, die viel Kraft und ein gutes Auge erforderte.
Zuerst reichte der Wurf nicht aus, die Bäume waren zu hoch, aber dann suchte Anne sich kleinere Palmen oder solche, die der ewige Wind wieder mit den Kronen schräg zur Erde gezwungen hatte. Hier traf sie nach einiger Übung die Nüsse sicher mit dem Speer und brachte ihre erste Beute so stolz zu Shirley und Bäcker wie ein Hund seinen ersten apportierten Knüppel.
»Passen Sie auf, daß Anne nicht zum hinteren Teil Ihrer Insel vordringt«, sagte Shirley später. Sie saßen wieder am Meer und warteten auf das Verglühen eines neuen Reisighaufens auf dem Stamm. »Wenn Anne die Gerippe sieht, bekommt sie einen seelischen Knacks.«
»Vielleicht sollte man es ihr sagen, Paul?«
»Haben Sie schon mal eine hysterische Frau erlebt? Nein? Ich sage Ihnen: Das Fell sträubt sich Ihnen wie bei einem Hund. Beschwören Sie so was nicht rauf!«
Bis zur Nacht hatten sie fünfmal den Stamm angebrannt und waren an einigen Stellen zwei Zentimeter in die Tiefe gekommen. Sie aßen von Annes Braten kaum noch etwas, waren zu erschöpft, um zu sprechen, fielen auf ihre Decken und schliefen sofort ein. Nur Shirley sagte noch:
»Es ist einfacher, den Stamm, mit dem Beil auszuschlagen. Dieses Brennen ist Blödsinn. Was meinen Sie, Werner?«
»Ich glaube, Sie haben recht, Paul, Meißel und Beil. Wir dürfen bloß nicht schlappmachen.«
Dann drehte er sich auf die Seite und schlief wie ein Toter.
Anne blieb bei ihnen sitzen, sprach sie später an, rüttelte sie und küßte Bäcker auf den Mund. Er schlief weiter. Shirleys Schnarchen war stärker als das Rauschen des Meeres.
Dann stand sie auf, nahm den Speer fest in die Hand und verließ die Hütte.
Shirley hatte sich geirrt.
Anne brach in kein hysterisches Geschrei aus, als sie die Schädelstätte am anderen Ende der Insel erreicht hatte und der hölzerne Götze sie aus seinen großen rotbemalten Augen anglotzte.
Er sah noch furchterregender aus als am Tag. Da milderte die Sonne das dämonische Grauen, das helle Licht ließ den Zauber weitgehend zerfließen … aber jetzt in der Nacht, im ungewissen Licht der Sterne und eines über das Meer treibenden Mondes gewannen die Konturen der schrecklichen Gestalt Leben, nistete der Fluch in jeder Kerbe des rissigen Holzes und schimmerte der Kreis der Gerippe wie ausgespien aus diesem breiten, fletschenden Göttermaul.
Anne tat etwas, was weder Shirley noch Bäcker getan hatten: Sie trat an die Totemsäule heran und preßte ihre flache kleine Hand gegen das Gesicht des Dämons. Sie bedeckte gerade einen Teil des rechten Auges, aber es war ein heller Fleck verzweifelter Furchtlosigkeit.
»Wir werden auch mit dir leben!« sagte Anne mit einer tiefen Feierlichkeit. »Ich liebe Werner Bäcker … und gegen die Liebe bist du machtlos, du Scheusal!«
Als sie zur Hütte zurückkam, hatte sich nichts geändert. Bäcker und Shirley lagen wie morsche Holzstücke herum. Da
Weitere Kostenlose Bücher