Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater
Zufall, vom Mörder nicht einkalkuliert.«
»Müssen Sie schon wieder davon sprechen, Shirley?«
»Es fällt mir gerade ein. Es gibt im Leben mehr Parallelen, als man denkt. Achtung … mit Schwung hinein!«
Sie schwenkten den Körper zwischen sich hin und her, bis er den nötigen Schwung hatte, und ließen ihn auf Shirleys Kommando los.
Die schöne Tote flog durch die sonnenflirrende Luft, ihr langes schwarzes Haar wehte von ihrem Kopf wie eine Fahne. Die Arme breiteten sich aus, und es sah aus, als sei dieser nackte Körper voller Lebensfreude von diesem Felsen ins Meer gesprungen. Atemlos stieß Bäcker die Fäuste zusammen, als die Tote ins Meer klatschte und schnell in den Strudeln versank.
»Wollen Sie warten, bis Sie die dreieckige Flosse heranschießen sehen?« fragte Shirley.
»Nein!« Bäcker wandte sich ab. »Ich hasse nichts mehr als Haie!« Er betrachtete seine Hände und hielt sie von sich gestreckt. »Könnte ich jetzt schon Lepra haben?«
»Möglich ist alles. Wir sollten jetzt so schnell wie möglich an Ihren Salmiakgeist kommen.«
Es dauerte doch noch zwanzig Minuten, bis sie wieder in der Hütte waren. Bäckers Bein machte ein schnelleres Laufen unmöglich, auch wenn Shirley ihn stützte. Anne lief vor ihnen her – sie durfte keinen von ihnen berühren. Sie holte den Medizinkasten, goß den Salmiak in den Deckel der Blechkiste und hielt ihn hoch. Fast gleichzeitig tauchten Shirley und Bäcker ihre Hände hinein. Die verdünnte Flüssigkeit brannte höllisch auf der Haut, der Salmiakdunst zog ätzend in die Nasen und reizte die Schleimhäute. Aus Bäckers lidlosen Augen rannen die Tränen.
»Wenn das nicht hilft«, sagte Shirley, »verliere ich den Glauben an die Desinfektion. Das kann kein Bazillus oder Virus oder aus was die Lepra besteht, der Teufel weiß es, aushalten.«
Sie ließen ihre Hände abtropfen, spülten sie dann in Wasser nach und trockneten sie in der glühenden Sonne. Die Haut wurde glutrot, wie verbrannt.
»Kommen Sie mit?« fragte Shirley plötzlich. Bäcker nickte sofort, obwohl er nicht wußte, was Shirley vorhatte.
»Wohin denn?«
»Es ist noch früher Tag. Wir suchen die Insel ab. Ihren souveränen Staat Viktoria-Eiland, Majestät. Wenn wir hier tatsächlich Gerippe finden, küsse ich Ihren Einbaum, wenn er fertig ist, von oben bis unten ab, denn dann ist er wirklich unsere letzte Chance. Nicht einmal mehr ihr planmäßiges Flugzeug und Ihre Rauchsignale. Aha, werden die da oben denken, da unten verbrennen sie wieder eine Leiche. Denn – Werner – wenn das hier eine Toteninsel ist, dann wette ich 100 : 1, daß der Pilot des Liniendienstes sie kennt. Hier wird nie ein Flugzeug wassern, nur weil es raucht. Es bleibt uns nur ihr mistiger Baum.«
Sie gingen die Insel systematisch ab. Sie war größer, als Bäcker zuerst gedacht hatte, vielleicht etwas länger als die Insel Baltrum, man brauchte gute drei Stunden, um Viktoria-Eiland zu umkreisen. Aber wo man auch immer stand in der Mitte des erhöhten Waldes: Man sah das Meer, die Unendlichkeit wiegender Wellen, einen Horizont, der rundherum ertrank. Blau in Blau, und darüber die feuerschleudernde Scheibe der Sonne.
Genau auf der entgegengesetzten Seite, an einem Strand, der mit Felstrümmern übersät war, als wäre einmal der Meeresboden flammend emporgeschleudert worden und die glühenden Blöcke seien dann hier erkaltet, fanden sie die ersten Knochen. Es waren bleiche Skelette, deren Umrisse noch die Form eines Menschen andeuteten.
Hundert Schritte von diesem Knochenfriedhof entfernt stand eine drei Meter hohe, geschnitzte Totemsäule, eine grell bemalte Götterfratze mit blutroten Augenhöhlen. Um das Totem herum lagen die Überreste von Leichen. Unzählbar jetzt, ein Gewirr von Knochen, ein Feld voller Schädel, im Kreis geordnet um den großen, in die Sonne glotzenden Dämon.
»Wir sind auf einer Toteninsel«, sagte Bäcker tief atmend. »Shirley, Sie hatten recht. Wir werden jetzt keine Zeit mehr verlieren, von hier wegzukommen.«
XVI
Sie sagten Anne nichts von ihrer Entdeckung, als sie zurückkamen. Auch als sie fragte, schüttelte Bäcker den Kopf.
»Shirley hat sich geirrt«, sagte er. »Er ist den Märchen der Polynesier aufgesessen. Du kannst ganz beruhigt sein. Diese tote Frau war ein einmaliger Fall. Es gibt keine Toteninsel! Weiß der Himmel, weshalb sie den Leichnam hier abgelegt haben.«
Anne sah ihn groß an und wußte, daß er log. Shirley hatte recht. – Bäcker war zu ehrlich, um
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