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Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater

Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater

Titel: Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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kroch sie zu Bäcker unter die Decke, schmiegte sich an ihn, umfaßte sein zerstörtes Gesicht, küßte die narbigen Lippen, lächelte, als er im Schlaf grunzte, und wußte, daß sie diese Liebe mit Händen und Füßen und – wenn es nötig war – mit den Zähnen wie ein Raubtier verteidigen würde.
    »Ihr seid Kindsköpfe!« sagte sie beim Frühstück, als Shirley gerade den merkwürdigen, aber unwahrscheinlich anregenden Tee getrunken hatte. »Wie kleine Jungen, die ein Mädchen nicht mitspielen lassen wollen. Glaubt ihr, ich hätte Angst vor einer geschnitzten Fratze und ein paar Gerippen?«
    »Sie war dort!« sagte Shirley entgeistert. »Wir haben geschlafen wie Mehlsäcke, und sie streunt auf der Insel herum! Anne, ist Ihnen klar, was Sie gesehen haben?«
    »Natürlich.«
    »Hier holt uns keiner ab.«
    »Ich weiß es. Deshalb werde ich auch am Baumstamm helfen –«
    Später, als Anne wieder an der Kochstelle saß und eine Fleischsuppe kochte, sagte Shirley verblüfft in einer Atempause: »Bäcker, haben Sie schon eine Frau gesehen, die sich in der Gegenwart von Skeletten wohl fühlt?«
    »Ich bin hier, nur Anne liebt mich – das ist alles.« Bäcker legte beide Hände vor den Gitterstoff und seine lidlosen Augen. Was Shirley einmal befürchtet hatte, wagte er jetzt nicht zu gestehen: Die Sonne saugte sein Augenlicht weg. Es wurde immer schwerer, ein klares Bild zu sehen. Alles begann zu zerfließen, die Konturen lösten sich auf, die Welt verwässerte sich. Und die Augen brannten höllisch.
    »Shirley, wir müssen auch in der Nacht arbeiten … solange es geht«, sagte er. »Wir müssen arbeiten, bis wir umfallen.«
    »Ich denke, Sie haben so viel Zeit, daß Sie nicht einmal Ihren Kalender mehr brauchen?«
    »Ich habe mich geirrt, Shirley.«
    »Sie und irren? Das gibt's doch gar nicht, dachte ich!«
    »Meine Augen –« Bäcker griff nach Shirleys Händen. »Ich fürchte, ich werde blind. Versprechen Sie's mir: Sagen Sie Anne nichts davon.«
    »Natürlich nicht. Werner – Sie sind ein armes Schwein.«
    »Ich weiß, Shirley. Aber ich muß erst Annes Unschuld an diesem Mord bewiesen haben, bevor ich blind werde.«
    An einem Freitag, wie Bäcker errechnet hatte, erschien wieder das Flugzeug über der Insel.
    Bäcker, Shirley und Anne waren darauf vorbereitet und steckten drei große Haufen zusammengetragener trockener Büsche an.
    Es wiederholte sich alles: Das Flugzeug brummte, deutlich sichtbar, unter dem klaren blauen Himmel in nordöstlicher Richtung. Die Tragflächen glitzerten gegen die Sonne, die langen Schwimmer waren gelb gestrichen, das Glas der Pilotenkanzel reflektierte die Sonnenstrahlen … und unten am Strand rannten drei verzweifelte Menschen herum, winkten und schrien, rollten das Stoffband mit dem SOS aus, blieben dann erschöpft und fassungslos stehen und starrten der Freiheit nach, die an ihnen vorbeiflog, ohne sie zu beachten.
    »Fliegt denn da oben ein Blinder?!« brüllte Bäcker und schüttelte die Fäuste gegen den Himmel. »Die Feuer, die Rauchwolken … warum dreht er nicht bei? Shirley, begreifen Sie das? Er muß uns doch gesehen haben!«
    Shirley hielt Bäcker das Hemd hin, mit dem er gewunken hatte.
    »Legen Sie das auf Ihre Augen, Werner«, sagte er. »Sie haben direkt in die Sonne geblickt. Und sagen Sie Anne, sie soll ihren Schleiertanz mit dem SOS einstellen – es macht mich noch verrückt. Zu Ihrer Frage: Nein, da oben fliegt kein Blinder. O nein. Aber diese kleinen Maschinen werden hauptsächlich von Eingeborenen geflogen. Es sind gewissenhafte, korrekte, gute Flieger. Sie sind stolz auf ihre Maschine, die ihre Großväter noch für einen bösen Dämon gehalten haben. Sie können zwar mit Radar umgehen, und die Bibel liegt auf ihrem Nachttisch, aber sie bleiben Angehörige ihres Stammes. Und wenn das hier eine Toteninsel ist, dann fliegen sie eben vorbei, ganz gleich, was sich da unten rührt!«
    »Tote laufen, winken und schreien nicht!« sagte Bäcker erschöpft. Er preßte Shirleys Hemd gegen die Augen. Er hörte Anne vom Meer kommen; sie weinte laut.
    »Denken Sie an die Frau mit der Lepra.« Shirley zerrte an dem Hemd. »Nehmen Sie's weg, Werner, sonst merkt Anne etwas.«
    Bäcker gab das Hemd zurück und sah Anne wie aus Wolken auftauchen. Seine Augen tränten stark und brannten.
    »So ein Schuft!« schrie Anne. »Shirley, Sie hundertfünfzigprozentiger Polizist: Das ist Mord! Er sieht uns und fliegt weiter!« Sie setzte sich neben die Männer auf den Baumstamm und

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