Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater
trocknete mit dem SOS-Tuch ihr Gesicht ab.
»Ich versuche gerade, Werner das zu erklären. Angenommen, der Mann da oben denkt: Aha, das sind drei Lepröse. Natürlich wollen sie weg. Ich werde mich hüten, da zu reagieren. Augen rechts – und vorbei! Kann man's ihm übelnehmen? Im Paradies herrschen höllische Sitten. Wann kommt das Flugzeug wieder?«
»In vier Wochen –«, sagte Bäcker dumpf.
»Dann wird er etwas weiter von uns entfernt übers Meer fliegen, um nichts mehr sehen zu müssen. Wollen wir wetten?«
»Nein. Vergessen wir das Ding da am Himmel.« Bäcker griff nach seinem Beil. Er beugte sich über den Stamm und hieb schräg in die sich jetzt deutlich abzeichnende Sitzmulde. »Weiter, Paul! Sollen wir uns unterkriegen lassen von so einem brummenden Idioten?«
Sie bauten weiter an dem Boot. Tag und Nacht. Nur ein paar Stunden Schlaf legten sie ein, gerade so viel, um wieder zu Kräften zu kommen.
Nun wurde es doch ein Wettrennen mit den Ereignissen: Je tiefer sie den Stamm aushöhlten, um so sichtbarer wuchs das Kind in Annes Leib und um so verschwommener sah Bäcker die Welt mit seinen lidlosen Augen.
Die Lepra bekamen sie nicht – sie beobachteten sich gegenseitig genau. Aber als Shirley, einer unerklärlichen Eingebung folgend, wieder zur anderen Inselseite wanderte, fand er zwei neue Tote. Sie waren so in den Sand gelegt, daß ihre Köpfe zu dem Totem zeigten.
Es waren frische Tote, nicht älter als zwei Tage, noch im Anfangsstadium der Verwesung. Ein alter Mann mit weißen Kraushaaren und Bart, und eine dicke, aufgequollene Frau, die aussah, als habe man sie aufgeblasen bis an die Grenze des Zerplatzens.
Shirley lief zum Ufer, aber die Flut und der immer wehende Wind hatten die Fußspuren schon ausgelöscht.
»Wir haben Besuch«, sagte er leichthin, als er zur Hütte zurückkam. »Oma und Opa. Sie hatten keine Lepra, meine Freunde, ich habe sie mir genau angesehen. Das ist der Beweis, daß die Eingeborenen uns in Ruhe lassen. Verflucht, ich bin gespannt, wie sie sich benehmen, wenn wir mit unserem Einbaum vor ihrer Insel auftauchen. Ein aparter Gedanke: Hier kommen wir heil weg, und dort drüben werden wir aufgespießt.«
In dieser Nacht spürte Anne zum erstenmal, daß sich das Kind in ihrem Leib bewegte. Sie weckte Bäcker und drückte seine Hand auf ihren Leib.
»Es lebt«, flüsterte sie. »Ist das nicht verrückt? Da draußen liegen zwei Tote, und in mir beginnt ein neues Leben …«
Bäcker beugte sich herunter und legte sein Ohr auf Annes Leib. Er wartete, hielt den Atem an und legte beide Hände über ihre Brüste. Als er unter sich das winzige Zucken spürte, war es eine Minute unbeschreiblichen Glücks.
Dann weckte er Shirley. Der fuhr hoch, wälzte sich zur Seite und sprang auf die Beine.
»Sind sie da?« rief er. »Wo ist der Speer?«
»Blödsinn, Paul.« Bäcker hielt ihn an den Beinen fest. »Es lebt …«
»Was lebt?«
»Unser Kind –«
»Lieber Gott, was wird aus ihm, wenn es gleich mit so einem Schrecken beginnt …« Shirley ließ sich wieder auf seine Decke fallen. »Deshalb wecken Sie mich mitten in der Nacht? Soll ich etwa auch horchen?«
»Sie dürfen es, Paul. Denken Sie an Betty …«
»Sie bringen mich noch zum Heulen«, sagte Shirley unsicher. Aber dann beugte er sich doch über Anne, legte sein Ohr auf ihren Bauch und vernahm das kleine, schwache, zaghafte Leben. Er knirschte mit den Zähnen, als er sich wieder auf seine Decke zurückwälzte, und lobte innerlich die Dunkelheit, die sein Gesicht versteckte.
»Werner –«, sagte er nach einer Weile.
»Ja?«
»Halten Sie mich nicht für verrückt oder sentimental, aber – werden Sie das Kind taufen lassen?«
»Natürlich«, antwortete Anne an Bäckers Stelle. »Wenn jemand Gottes Hilfe nötig hat, dann dieses Kind.«
»Würden Sie mich zum Paten nehmen?«
»Keinen lieber als Sie, Paul«, sagte Bäcker. »Ich danke Ihnen.«
»Ich Ihnen auch.«
Shirley drehte sich zur Wand. Seit Bäckers Augen immer mehr nachließen, schlief auch er in der Hütte. Aber er kam erst viel später als Bäcker in den Raum und warf sich auf sein Lager.
»Sie brauchen Anne nicht heimlich und lautlos zu lieben«, sagte er einmal zu ihm. »Ich gehe in der Zeit spazieren. Dann werde ich an Betty denken. Betty konnte auch so zärtlich sein.«
»Wofür danken Sie denn, Paul?« fragte Bäcker jetzt.
Er drückte Anne an sich, Leib an Leib, und dachte dabei: Das ist nun eine eigene Welt. Meine neue Welt. Eine Frau und ein
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