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Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater

Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater

Titel: Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Sie war noch nicht lange tot, ihre Haut glänzte noch, der Körper zeigte noch keine Anzeichen von Zersetzung. Wieder ein Beweis, daß in einem erreichbaren Umkreis bewohnte Inseln liegen mußten.
    »Ich wette, man hat ihr die Kehle durchgeschnitten«, sagte Shirley hart.
    »Aber diesmal war ich es nicht«, sagte Anne dicht hinter ihm.
    »Ich bewundere Ihre Schlagfertigkeit, Anne.«
    Shirley richtete sich auf. Die Vogelwolke über ihnen stieg höher, das Kreischen wurde intensiver, wie ein Protest. Weg da, ihr Menschen!
    »Drehen wir sie um, Werner.« Bäcker und Shirley bückten sich, faßten die Tote an den Schultern und legten sie auf den Rücken. Der schöne Körper mit den vollen Brüsten war vom Sand gepudert, über dem Gesicht klebten noch immer die langen, schwarzen Haare. Aber der schlanke Hals war unversehrt.
    »Fehlanzeige, Shirley«, sagte Bäcker leise. »Die Menschen sind besser als ihr Ruf. Sehen Sie eine Wunde?«
    Er sprach nicht weiter. Shirley hatte die Haare etwas zur Seite geschoben und sie dann sofort wieder über das Gesicht fallen lassen. Er zuckte zurück, packte Anne an der Schulter, stieß sie von Bäcker weg und machte selbst auch zwei Schritte zur Seite.
    »Nicht anfassen!« schrie er, als Bäcker sich über die Tote beugte und gleichfalls die Haare vom Gesicht der Frau zog. »Werner, lassen Sie die Finger von ihr! Zurück!«
    Bäcker ließ die Haare fallen und hinkte schnell zur anderen Seite. Er hatte genug gesehen, und ein Krampf entstand in seinem Inneren. Das Atmen war plötzlich schwerer geworden.
    Er hatte in ein Gesicht geblickt, in dem der Mund eine zerfressene Höhle war und die Nase ein verfaulter Stumpf. Darüber, in einem von Wunden zerklüfteten Antlitz, lagen die offenen erstarrten Augen. Glänzend, braun, wunderschön, solange sie gelebt hatte. Schön, wie dieser ganze Mensch hier im Sand einmal gewesen war.
    »Da haben Sie Ihr Paradies«, sagte Bäcker tonlos. »Jetzt haben wir sie hier … die Lepra –«
    Sie standen eine Weile herum, in vorsichtiger Entfernung von der Toten, unschlüssig den schönen Körper anstarrend, von dem die Krankheit nur das Gesicht zerfressen hatte. Den Verdacht, den Bäcker in sich aufsteigen fühlte, sprach Shirley deutlich aus.
    »Sie hatte zwar die Lepra, aber sie ist nicht an dieser Krankheit gestorben«, sagte er. »Ich habe andere Leprakranke gesehen, Gespenster von Menschen. Sie hatten kaum noch Glieder. Es waren Horror-Geschöpfe, die einen das Gruseln lehrten. Aber sie atmeten immer noch. Sehen Sie sich diesen herrlichen Frauenkörper an, Werner … sie hätte noch Jahre leben können, bevor die Lepra sie umgebracht hätte.«
    »Dann hat man sie also doch getötet?«
    »Ja.« Shirley nickte mehrmals. »Aus dem einfachsten Grund: um den Stamm zu retten. Vielleicht war sie die einzige Kranke, und sie hat den Aussatz von irgendwoher eingeschleppt. In diesem Falle entscheidet der Medizinmann des Stammes, was zu geschehen hat. Über diese junge Frau hat er das Todesurteil gesprochen. Man soll diese Zauberkerle nicht verkennen – sie wissen genau, was sie tun. Auch hier hat einer gemerkt, daß der ganze Stamm verloren ist, wenn das Mädchen unter ihnen bleibt. Und sie kennen da nur einen Ausweg: Töten! Von Isolation haben sie keine Ahnung. Ihre Furcht vor der Krankheit ist sogar so groß, daß sie die Tote wegbringen und nicht auf ihrer Insel begraben. Sie fürchten den Giftatem der Dämonen.« Shirley ging unruhig um die Tote herum. Über ihnen vollführten die Raubvögel noch immer schreiend ihre exakten Flugmanöver mit der Wende auf Kommando. »Was mich stutzig macht: Warum laden sie die Tote hier ab? Werner – haben Sie eigentlich schon die ganze Insel besichtigt?«
    »Nein. Als Anne und Sie angeschwemmt wurden, konnte ich gerade notdürftig gehen. Das andere haben Sie miterlebt.« Bäcker stützte sich auf seinen Bambusspeer. »Ich ahne, was hinter Ihrer Frage steckt, Shirley.«
    »Genau das meine ich! Anne, auch wenn Sie jetzt ohnmächtig umfallen … wir leben auf einer Toteninsel. In der Südsee gibt es Stämme, die Tote, deren Seelen sie fürchten, an einen weitentfernten Ort bringen, wo sie mit den Dämonen allein sind. Auf unbewohnte, gemiedene, von den Geistern verfluchte Inseln, die man nur mit einem Fetischzauber betreten und nur durch einen Fetischzauber wieder verlassen kann. Verdammt noch mal – und wir leben auf einer solchen Toteninsel! Jetzt verstehe ich auch, warum sie uns nicht umgebracht haben: Für sie waren wir

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