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Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater

Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater

Titel: Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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um, ob auch Anne ihn nicht sah, und faltete hinter den angezogenen Knien die Hände.
    Seit Wochen hatte Anne diesen großen Tag vorbereitet. Immer wenn der Bootsbau unterbrochen wurde, um frisches Fleisch zu schießen, jagten Shirley und Bäcker mit Bogen und Pfeilen große fette Enten oder stachen mit ihren Bambuslanzen die langen, fleischigen Fische aus der Brandung bei den Klippen. Auch Shirley kannte diese Fische nicht mit Namen, aber er war begeistert von dem saftigen Fleisch, das wie Lachs schmeckte und genauso einen rötlichen Farbton hatte.
    »Daran könnte ich mich dumm und dusselig fressen«, sagte er, wenn Anne den großen Fisch an einem Stecken über dem offenen Feuer gebraten hatte. »Aber weil hier alles zwei Seiten hat und das Paradies in Wirklichkeit eine maskierte Hölle ist, sollte es mich nicht wundern, wenn dieser Fisch irgendeine Krankheit mit sich herumschleppt. Unsichtbare Würmer, die sich in unsere Därme bohren, Trichinen …«
    »Fische haben keine Trichinen«, sagte Bäcker, »ich hab's wenigstens noch nie gehört.«
    »Eisbären haben welche. Irgendein bekannter Polarforscher ist dadurch umgekommen.«
    »Ein Fisch ist kein Eisbär, Shirley. Sie müssen aber auch über alles meckern!«
    Anne legte einen großen Vorrat von Trockenfleisch und Trockenfisch an. Sie legte große Stücke auf Palmblätter in die pralle Sonne, wie es die Eingeborenen machen, und wider Erwarten faulte und zersetzte sich das Fleisch nicht, sondern schrumpfte zusammen. Die Sonne war stärker. Sie saugte den Saft auf, ehe das Fleisch verwesen konnte. Zur Verwesung gehört Feuchtigkeit. Unter diesen glühenden Strahlenbündeln aber verdunstete sie sofort. In den zwei oder drei Stunden, da es regnete, deckte Anne ihre ›Speisekammer‹ mit geflochtenen Palmblättermatten ab.
    Zwei Wochen lang briet und trocknete sie Enten und Fische und stapelte sie in einer kühlen Höhle, die Bäcker in den Hang gegraben hatte.
    Am 6. Dezember fingen sie noch einmal mit der ausgespannten Gummiinsel den Regen auf und füllten das Wasser in den Kanister und die Plastiktüten.
    »Morgen –«, sagte Bäcker. Er sprach es geradezu feierlich aus. »Morgen früh, mit der Ebbe, lassen wir uns hinaus aufs Meer tragen.«
    Bis zum Abend arbeiteten sie noch an dem dünnen Mastbaum. Sie setzten ihn in einen ausgehöhlten Klotz, den Bäcker in der Sitzmulde hatte stehen lassen. Die letzten Nägel hämmerten sie seitlich zur doppelten Sicherheit in den Mast und winkten dann Anne, herüberzukommen.
    »Zieh das Segel auf, Anne –«, sagte Bäcker. »Es ist dein Segel.«
    An den Tauen, die sie von der Rettungsinsel abmontiert hatten, zog Anne ihr Palmenblättersegel an dem knorrigen Mast hinauf.
    »Eine Schönheit ist er ja nicht«, sagte Shirley. »Hauptsache, er hält den Winddruck aus.«
    Wie Seekadetten beim Flaggenhissen standen Bäcker und Shirley stramm und legten die Hand an die Stirn, als Anne das Segel aufzog. Eine kindliche Fröhlichkeit hatte sie alle erfaßt. Sie benahmen sich geradezu dämlich, marschierten nach Shirleys Kommandos »Links-zwei-drei-vier … Augen rechts …« ein paarmal um den Einbaum herum und imitierten Musikinstrumente, pfiffen und trompeteten Märsche, und Shirley klatschte mit der flachen Hand auf seinen Bauch und schrie: »Ich bin die große Pauke! Ich bin die große Pauke!«
    In der Abenddämmerung besuchten sie noch einmal den Begräbnisplatz und den Totemgötzen.
    Es waren keine neuen Leichen abgelegt worden. Der alte Mann und die dicke Frau waren nicht mehr zu erkennen. Ihre Knochen waren abgenagt und begannen zu bleichen. Dichte Vogelschwärme flatterten kreischend auf, als Bäcker und Shirley aus den Büschen auf die Lichtung traten.
    »Es stinkt nicht einmal«, sagte Shirley anerkennend. »Sagen Sie, was Sie wollen, Werner: Diese Leichenbestattung hat ihre Vorteile. Man ernährt die Vögel, es bleibt ein sauberes Gerippe zurück, und die Seele ist sowieso unsterblich. Was heißt hier Pietät? Für den, der hier liegt, ist ja doch alles wurscht. Verdammt, wenn man, so wie wir, sich zurückentwickelt hat und nur noch ein armseliges Stück Natur geworden ist, sieht die Welt plötzlich ganz anders aus. Auch das Sterben.« Er hielt Bäcker, der sich abwenden wollte, am Arm fest und zog ihn zurück. »Werner, wir sind jetzt allein. Da gibt es noch ein Problem, über das wir uns unterhalten sollten.«
    »Schießen Sie los, Paul!«
    »Angenommen, wir sind länger unterwegs, als wir ausgerechnet haben. Wir kennen

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