Wer stirbt Palmen ... 2: Der Sohn
Anlegemanöver der drei großen Boote. »Ihr denkt, die Götter haben euch diese neue Insel geschenkt und uns vernichtet. Aber ich bin noch da! Ich habe Anne-Eiland zuerst betreten! Es gehört mir! Wir werden darüber noch verhandeln …«
Die Häuptlingsboote hatten den flachen Strand erreicht, die Paddler sprangen heraus, zogen sie an Land und fielen dann mit dem Gesicht auf die Erde nieder. Gleichzeitig, wie auf ein Kommando, erhoben sich die drei Häuptlinge, ihr ausladender Kopfschmuck aus grell buntgefärbten Federn wippte in der Sonne. Sie breiteten die Arme aus, als wollten sie das neue Land, das Meer, das es umspülte, und die Sonne, die ihm Leben spendete, umarmen, betraten dann den Strand und begannen zu beten.
Den Häuptlingen folgten Medizinmänner, deren Gesichter von hölzernen Fratzenmasken verdeckt waren. Sie stießen lange, bemalte Holzpflöcke in den Sand und zündeten sie an. Heller, dünner Rauch stieg kerzengerade in die Höhe. Der Wind schien eingeschlafen zu sein, die Rauchsäulen – es waren jetzt schon dreißig – standen wie Geisterfinger zitternd über der neuen Insel.
Die Götter nahmen das Opfer an.
Die rhythmischen Schreie der Medizinmänner tönten bis zu Paul hinüber. Es waren auf- und abschwellende, kreischende Töne, und nach dieser Musik, in die sich jetzt ein rasendes Trommeln aus den Kriegskanus mischte, begannen die großen, hölzernen Masken zu tanzen, hüpften in wilden Sprüngen über den Strand und um die rauchenden Holzpfähle herum. Sie sanken in die Knie, schnellten empor, warfen die Arme hoch und stießen schrille Schreie aus, die mit nichts zu vergleichen waren. Ihre nackten schwarzbraunen Füße stampften den Sand, wirbelten ihn hoch, Staubwolken vermischten sich mit den Rauchfahnen, dazwischen leuchteten die riesigen Federn der Häuptlinge, bunte, wogende Wellen, ein Rausch sich immer mehr steigernder Ekstase.
Zögernd glitten nun auch die anderen Kanus in die Bucht, ratschten auf den Strand. Die Krieger stiegen aus und warteten, bis zu den Knien im Meer stehend, auf den Befehl, die neue, von den Göttern geschenkte Insel betreten zu dürfen.
Lange Blumenketten aus Frangipani-, Tiare- und Hibiskus-Blüten wurden aus den Booten gehoben. Große bemalte Holztafeln wurden in den Sand gestellt, phantasievolle Bambusgerüste mit Blumen und Muschelketten behängt.
Nach einer Stunde glich der Strand von Anne-Eiland einer bunten Festwiese. Die Bucht leuchtete in hellen Farben … und noch immer tanzten die Medizinmänner, beteten mit hochgestreckten Armen die drei Häuptlinge, hallten die ekstatischen Schreie der hüpfenden Holzfratzen zu Paul Bäcker hinüber.
Als die Sonne ihren höchsten Stand erreicht hatte, war auch das Opferfest auf seinem Höhepunkt angelangt. Die braunen Körper drehten sich, wirbelten durch den Sand, bogen und wanden sich in unglaublichen Verrenkungen. Plötzlich, nach einem vielstimmigen Aufschrei, fiel über die schweißglänzenden Menschen eine starre Lähmung. Sie lagen im Sand zwischen den Bambusgerüsten und Holztafeln, den ausgespannten Blütenketten und den immer wieder erneuerten dicken Räucherpfählen, das Gesicht nach unten und verharrten in völliger Demut und Ergebenheit. Die Medizinmänner und die drei Häuptlinge gingen weihevoll zu dem vordersten großen Boot und hoben eine große geschnitzte Götzenfigur heraus. Sie bestand aus drei Teilen: den säulenförmigen Beinen, dem breiten Rumpf und dem hohen, glotzäugigen Kopf. Als die Teile aufeinandergesetzt waren, mußte der Götze über vier Meter hoch sein.
Dort, wo der Strand aufhörte und der Hang sanft anstieg, auf dessen Kuppe die herrliche Süßwasserquelle entsprang, stellten sie das Götzenbild auf und bekränzten es mit Blumen. Dann holten sie zehn lebende Hühner aus den Booten. Mit schnellen Dolchhieben schlugen die Medizinmänner den Tieren die Köpfe ab und spritzten das Blut über die schreckliche Statue. Die geschlachteten Hühner legten sie im Kreis um den Götzen … es waren die ersten Leichen auf der neuen Toteninsel.
Jetzt konnten die Geister der Ahnen aus der Unendlichkeit erscheinen. Sie hatten eine neue Heimat.
»Das wird Ärger geben!« sagte Paul Bäcker wieder zu sich. »Ich schenke euch Viktoria-Eiland. Eure Toten brauchen kein Wasser, aber ich!«
Er beschloß, in den nächsten Tagen erneut in den Willen der Götter einzugreifen und den dreiteiligen Götzen auf seinem Floß nach Viktoria-Eiland zu bringen und hier, an einem neuen schönen Platz,
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