Wer stirbt Palmen ... 2: Der Sohn
Atem an … aber nichts geschah. Was da im gelben Sand lag, war wirklich nur ein großer geschnitzter und bemalter Holzklotz, nichts weiter.
»Er wird glücklich sein, auf seine alte Insel zurückzukommen«, sagte Bäcker mit belegter Stimme. »Du mußt das anders sehen, Rainu. Die Natur hat uns die neue Insel geschenkt, damit deine Götter auf ihrer alten wieder ungestört sind. Was wir tun, ist ein gutes Werk.«
In mühevoller Arbeit zerlegten sie das Götzenbild wieder in drei Teile. Sie rollten und schleppten den Kopf, den Körper und die Beine zum Meer, luden alles auf das Floß, paddelten dreimal über die Meerenge und bauten den Gott dann wieder dort auf, wo der alte Leichenplatz gewesen war.
Der Platz hatte sich nach dem Seebeben verändert. Die kleine Bucht war zerklüftet, aber das Meer hatte dafür mit seiner ungeheuren Gewalt ein neues Plateau aus dem Boden gefressen, ein blankgefegtes Feld, das wie eine offene Hand dem Himmel zugekehrt war. Es war der beste, schönste und der Allmacht am nächsten gelegene Platz, ein Ort, wo die Toten nichts mehr über sich hatten als die Unendlichkeit.
Hier stellten Paul und Rainu das Götzenbild wieder zusammen, wuchteten die drei Teile aufeinander, und als die blutbemalte, scheußliche Fratze stand, blieb Rainu vor ihr stehen und betete mit all der Innigkeit, mit der sie auch Paul lieben konnte.
Bäcker kehrte noch zweimal nach Anne-Eiland zurück und brachte jedesmal eine entsetzliche Fracht mit: die halbzerfallenen und zerfressenen Toten. Er legte sie im Halbkreis, wie es die Riten verlangen, um das Standbild und wusch sich dann mit Sand und Wasser die Hände und den ganzen Körper, schabte mit porösen Steinen den letzten süßlichen Geruch aus seinen Poren und ließ sich von Rainu mit einem Brei aus zerquetschten Wurzeln einreiben, die streng nach Kampfer rochen.
»Da steht er«, sagte er nachher und drückte Rainu an sich. »Hier wird er glücklich sein. Komm, wir ziehen auf unsere neue Insel …«
Bis zur Abenddämmerung packten sie alles auf das Floß, was der Taifun und das Beben vom zwanzigjährigen Leben Werner Bäckers und Annes übriggelassen hatten. Es war mehr, als Paul geglaubt hatte. Zwei Flöße voll brachte er hinüber auf Anne-Eiland und stapelte alles neben der sprudelnden, Leben verheißenden Quelle. Zwischen den bizarren Felsen, die das Beben aus dem Meeresgrund emporgehoben hatte, bestimmte Paul einen nach allen Seiten geschützten Platz und sagte: »Hier wird unser neues Haus stehen.«
Rainu nickte. Sie bückte sich, hob zwei Hände voll Erde auf, stellte sich auf die Zehenspitzen und streute die Erde über Pauls Kopf.
Er hielt ganz still. Er wußte, daß es eine heilige Handlung war, vielleicht die heiligste in ihrer beider Leben: Rainu weihte den Platz, auf dem sie leben und sterben, auf dem sie ihre Kinder bekommen würden.
Rainu war noch nackt, so wie sie den ganzen Tag über gearbeitet hatte. Ihr schmaler Körper glänzte in der Abendsonne, und der Wind trieb ihr Haar wie eine schwarze Fahne zum Meer. Über ihnen, auf der Spitze des Felsens, wehte die französische Flagge. Wo hatte es jemals eine feierlichere Weihe eines Landes gegeben?
Später hockte Rainu im Windschatten einer Felsausbuchtung in der typischen Eingeborenenhaltung, hatte einen kleinen Haufen pulvertrockenen Palmstrohs vor sich aufgehäuft und rieb zwei Hölzchen mit unendlicher Geduld gegeneinander. Paul Bäcker, der die Reste ihrer Habe ordnete und eine primitive Hütte aus einigen Holzstangen und zwei ausgespannten Decken aufbaute, blickte ein paarmal zu ihr hinüber. Das Reiben der Hölzchen hatte Erfolg … ein dünner Qualm stieg zwischen ihnen auf, Rainu blies vorsichtig mit gespitzten Lippen zwischen ihre Hände, und unaufhörlich bewegten sich ihre Finger und rieben und drehten die Hölzchen.
Der Schrei kam so plötzlich, daß Paul zusammenzuckte. Rainu stieß einen hellen Laut aus, einen Ton, wie wenn ein Vogel lacht.
Aus dem Palmstroh züngelte eine dünne Flamme, wurde schnell größer, blähte sich auf.
»Wir haben Feuer, Paulo«, sagte sie glücklich und legte drei Holzstücke in die Flammen. »Jetzt sind wir stark. Mit Feuer und Wasser beginnt das Leben …«
Paul wußte darauf keine Antwort. Das Herz schlug ihm bis zum Hals, und das Glücksgefühl erstickte ihn fast. Er hob Rainu vom Boden auf, trug sie mit ausgestreckten Armen an den Rand des Wohnplatzes, zeigte sie der untergehenden Sonne, dem rauschenden Meer und dem unendlichen Himmel und
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