Wer stirbt Palmen ... 2: Der Sohn
übergoß das Meer, die Insel und Rainu. Der Wind war eingeschlafen, die See war glatt wie ein Tisch.
Plötzlich, so schnell, daß man es kaum erkennen konnte, zuckte der Speer vor und tauchte ins Wasser. Als sie ihn wieder zurückzog, zappelte ein Fisch an dem Widerhaken. Der Schwarm stob sternförmig auseinander, eine Flut goldschimmernder Leiber.
»Wir haben kein Feuer«, sagte Paul später, als Rainu den Fisch ausgenommen hatte. Das Feuer, das er vor Tagen mühsam aus Steinen geschlagen hatte, war erloschen. »Ich weiß nicht, ob es mir noch einmal gelingt, aus Steinen oder Hölzern Feuer zu reiben.«
»Morgen –«, sagte sie. »Morgen haben wir Feuer, Herr.«
Sie aßen den Fisch roh, aber vorher zerstieß Rainu eine Wurzel zu Pulver und rieb es tief in das weiße Fischfleisch. Es schmeckte herrlich, herbwürzig, nach einem Hauch von Thymian. Dann tranken sie reines, süßes Quellwasser von Anne-Eiland und saßen Hand in Hand auf dem Rand des Kellers, warteten auf die Nacht, sahen die Sonne als roten Ball versinken und spürten in ihren Händen das Klopfen des Blutes. Sie sahen sich nicht an, nur Paul wagte es, heimlich zu ihr zu schielen. Rainu starrte geradeaus, das Profil ihres schmalen Gesichtes stand gegen die rote Sonne wie ein zarter Scherenschnitt.
Ich gebe sie nie wieder her, dachte Paul Bäcker. Nie! Schon jetzt weiß ich, daß es ohne Rainu für mich kein Leben mehr gibt.
Als es dunkel war, stiegen sie in den Keller. Bäcker hielt Rainu an den Schultern fest.
»Versprich mir, daß du nicht wieder hinüber zur Insel schwimmst«, sagte er heiser vor Angst.
»Ich verspreche es, Herr«, sagte Rainu.
»Ich brauche dich nicht festzubinden?«
»Nein, Herr.«
»Küß mich, Rainu!«
Sie legte die Arme um seinen Nacken und küßte ihn. Aber es war ein kalter Kuß. Paul spürte das Fremde, Drohende, Trennende, das zwischen ihnen lag. Es wird viel Liebe, viel Geduld und Mühe kosten, bis Rainu begriffen hat, daß sie kein Götteropfer, sondern ein Mensch ist, dachte er.
In der Nacht schliefen sie wieder nebeneinander unter einer Decke. Er hatte von hinten ihre Brüste umfaßt, ihr gewölbter Rücken schmiegte sich gegen seine Brust, sie waren vereint und doch unüberbrückbar voneinander getrennt. Ihre Sehnsucht war wie glühender Strom, der von einem zum anderen floß. Lange starrten sie mit brennenden Augen zum bestirnten Himmel hinauf, jeder wartete auf den anderen, und darüber schliefen sie ein.
Am frühen Morgen war Bäcker wieder allein. Mit einem Fluch schnellte er hoch, lief über die Insel zu der Meeresenge und blickte hinüber nach Anne-Eiland. Aber der Platz zwischen den Säulenbeinen des Götzen war leer. Nur der gestern abgelegte Tote lag da, und Schwärme von Kampfmöwen stießen auf ihn herab und zerhackten die Leiche. Die Müllabfuhr der Südsee war gekommen. Sonne und Wind würden ihr helfen.
Paul rannte wieder zurück. »Rainu!« schrie er. »Rainu! Mein Gott, warum tust du mir das an? Rainu!«
Dann sah er sie, und das Blut schoß ihm zum Herzen.
Sie stand auf der vom Seebeben zerrissenen schwarzen Felsenbarriere, oben auf der Spitze einer Klippe und starrte in das hochschäumende Meer. Hier ging es steil in die Tiefe, Strudel wirbelten über Abgründe. Wer hier herunterstürzte, war verloren … er zerschellte erst an den schroffen Felsen und wurde dann von dem höllischen Kreisel ins Meer gezogen.
»Rainu!« brüllte Bäcker und warf beide Arme hoch. »Tu es nicht! Warte auf mich! Rainu!«
Er rannte über den Strand, kletterte die glitschigen Felsen hinauf, riß sich an den spitzen Steinen die Hände blutig, aber er spürte keinerlei Schmerzen, er sah nur Rainu hoch oben auf der Klippe, bereit, ins Meer zu springen. Er wußte, daß ein gütiges Geschick ihn im richtigen Augenblick hatte erwachen lassen … Noch war die Sonne nicht voll aus dem Meer gestiegen, der Morgenhimmel war streifig und das Licht kämpfte mit der Nacht … aber wenn der erste Sonnenstrahl über den Horizont glühte, würde sich Rainu hinabfallen lassen. Es gab für sie keinen anderen Ausweg mehr: Ihre Liebe zu Bäcker war stärker als ihr Götterglaube geworden, und das entsetzte sie. Es war eine Wandlung in ihr geschehen, mit der sie nicht fertig wurde.
Erschöpft erreichte Paul die Felsenspitze. Sie war so schmal, daß er Mühe hatte, neben Rainu zu stehen. Er schlang beide Arme um sie, ihr Kopf fiel nach hinten auf seine Schulter. Entsetzt spürte Paul, daß er das Gleichgewicht verlieren würde,
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