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Wer weiter sehen will, braucht hoehere Schuhe

Titel: Wer weiter sehen will, braucht hoehere Schuhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peta Mathias
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unglaubliche öffentliche Trauer ausgelöst.
    Anmerkung: Brel zu singen ist ziemlich gefährlich und kann in spontanem Gewichtsverlust, Krankheit, Trauer und einer tiefen Abneigung gegen alles Bourgeoise enden.
Fado
    In den Tavernen der Lissaboner Stadtteile Alfama und Bairro Alto, wo der beste Fado gespielt wird, herrscht während des Vortrags absolute Stille im Raum, die erst Sekunden nach dem Verklingen des letzten schmerzlichen Tons von ohrenbetäubendem Applaus durchbrochen wird. Amália Rodrigues war die größte fadista aller Zeiten – die portugiesische Piaf, die Callas des Fado, die Königin des Schmerzes. Als ich das erste Mal eine Aufnahme von ihr gehört habe, wusste ich, dass sie das hat, was nur wenige Interpretinnen besitzen – eine Stimme, die das Leben ihrer Zuhörer für immer zu verändern vermag; eine Stimme von unglaublichem Tiefgang und Intensität – voll, herzergreifend und von schmerzlicher Schönheit. Mit geradezu spektakulärer Kontrolle über die Musik sprang sie von Strophe zu Strophe, holte die Worte aus den dunkelsten Tiefen ihrer Seele hervor und schaffte es, die Herzen ihres Publikums bis in die kleinste Verästelung zu berühren, ähnlich wie Om Kalsoum, die großartige ägyptische Sängerin, die als eine der bedeutendsten Stimmen des 20. Jahrhunderts gilt. Fado wird mit zwei Gitarren, einer portugiesischen und einer spanischen, dargeboten, die nicht nur als Begleitung dienen, sondern in eine Art intimen Dialog treten und gewaltiges spielerisches Können erfordern. Fado-Songs sind herzzerreißend schön, sehr melodisch und häufig in Moll geschrieben. Im Mittelpunkt stehen oft Seeleute, die auf dem Meer geblieben sind, Prostitution, Geschichten von Einwanderern, von Hunger, Armut und unerwiderter Liebe.
    Die Portugiesen singen Fado oder andere traurige Lieder, weil es ihrem Naturell entspricht. Sie haben eine angeborene Schwäche für die Traurigkeit, und es besteht eine überaus starke Verbindung zwischen der Tristesse des Fado und dem sentimentalen Fatalismus des portugiesischen Volkes. Der Fado wurde unter anderem als von Schluchzen unterbrochenes Lamento beschrieben. Der Begriff »Fado« stammt vom lateinischen »fatum«, also »Schicksal« ab, und sein allem zugrundeliegendes tragisches Motto ist die Unerreichbarkeit in der Liebe und im Leben allgemein. Die gängigste Ausprägung dieses nationalen Charakteristikums ist »saudade«: ein Begriff, der in keiner anderen Sprache existiert und wohl am besten mit der einzigartigen und unablässigen Sehnsucht nach etwas beschrieben wird, das nicht existiert und wahrscheinlich auch nicht existieren kann, einer tiefen Sehnsucht nach etwas anderem als der Gegenwart, einem Zuwenden zur Vergangenheit oder der Zukunft. Es ist keine aktive Unzufriedenheit oder akute heftige Traurigkeit, sondern eine Art verträumte Wehmut. Die logische Konsequenz daraus sind Fatalismus und Argwohn, die tiefe Überzeugung, dass das Leben sich unserer Kontrolle entzieht und dass jene Kräfte, die die Kontrolle ausüben, respektiert werden müssen.
    Anmerkung: Wenn Sie Fado-Sängerin werden wollen, suchen Sie sich einen Seemann als Geliebten, gehen Sie nach Lissabon, und legen Sie sich eine ausschließlich schwarze Garderobe zu.
Flamenco
    Der Flamenco ist die Ausdrucksform der andalusischen Gesellschaft und stellt eine Mischung aus Volksmusik der Mauren, der Zigeuner, Inder und Spanier dar. Flamenco entstand aus den alten Liedern der Menschen am Rande der Gesellschaft, der Ausgestoßenen, der vom Schicksal Gezeichneten – harsche, grobe Macho-Klänge, die meist nur im Verborgenen gespielt wurden. Wenn die Fado-Interpreten die Meister der Traurigkeit und Schönheit sind, sind Schmerz und Leidenschaft das Metier der Flamenco-Künstler. Immer wiederkehrende Themen im Flamenco sind bittersüße Romantik, Hass, Tod, Mütter, Eifersucht, Gefängnis, Mord, Entfremdung und Verrat. Das Bindeglied zwischen dem Flamenco und dem Fado sind der Fatalismus, die Ohnmacht, die Unterdrückung und die Unfähigkeit, gegen den Schmerz des Daseins zu kämpfen. In Andalusien werden Friedhöfe als tierra de la verdad , also »Ort der Wahrheit« bezeichnet. Man wird begraben, und das ist das Ende allen Seins. Das Leben ist nichts als eine Illusion. Der Tod frisst sich erbarmungslos ins Leben, und kaum ist der Zauber der Jugend verflogen, beginnt der Tod die Freude des Lebens zu vergiften.
    Meine erste Flamenco-Aufführung habe ich im La Carbonaria, einer Bar in Sevilla, erlebt. Ein

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