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Wer Wind sät

Wer Wind sät

Titel: Wer Wind sät Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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spürte, wie Stoff unter seinen Fingern riss, Hemdknöpfe platzten ab. Theodorakis lachte nur spöttisch.
    Â»Machen Sie ruhig weiter«, höhnte er. »Das Bild wird morgen in jeder Zeitung sein.«
    Diese Worte und die empörten Rufe einiger Leute im Saal brachten Theissen zur Besinnung. Er ließ die Hände sinken und begriff, zu welch grandiosem Fehler er sich hatte hinreißen lassen. Es herrschte konsternierte Stille. Theissen sah, wie Eisenhut mit bleichem Gesicht zum Mikrophon griff.
    Â»Halten Sie den Mann fest!«, sagte er, und die Leute drehten sich wie ein Mann zu ihm um. »Lassen Sie ihn auf keinen Fall gehen!«
    Die Männer vom Sicherheitsdienst zogen unauffällig den Kreis enger. Theodorakis sah sie aus dem Augenwinkel. Das selbstsichere Grinsen verschwand von seinem Gesicht. Niemand rührte sich, niemand wollte den letzten und spannendsten Akt dieses Theaterstücks verpassen. In die Stille rumpelte ein Donnerschlag, erste schwere Regentropfen klatschten gegen die großen Fensterscheiben des Festsaals.
    Ganz plötzlich hatte es Theodorakis eilig. Den Schutz der Öffentlichkeit nutzend, drängte er sich an Theissen vorbei, seine blonde Begleitung schob er wie einen Schutzschild vor sich her.
    Â»Sehen Sie, wie man versucht, mich mundtot zu machen!« Seine Stimme klang schrill. Die Sicherheitsleute warfen Theissen fragende Blicke zu, der schüttelte kaum merklich den Kopf. Theodorakis merkte, dass man ihn nicht aufhielt, verließ den Saal aber vorsichtshalber rückwärts.
    Â»Wir sehen uns wieder!«, rief er laut. »Denn wer Wind sät, Herr Dr. Theissen, der wird Sturm ernten!«
    *
    Es war schon spät, als Bodenstein den Dienstwagen auf dem leeren Parkplatz des Gutshofes abstellte. Das Gespräch mit Pia hatte ein eigenartiges Gefühl in ihm hinterlassen. Er hätte darauf gefasst sein müssen. Pia kannte ihn ziemlich gut, sie hatte überdies ein sicheres Gespür für die Befindlichkeiten anderer Menschen. Nicht zuletzt das machte sie von einer guten zu einer hervorragenden Polizistin. Auf ihre Frage, was mit ihm los sei, war er feige ausgewichen. Dabei hatte er gemerkt, wie sehr sie das kränkte. Warum nur hatte er es nicht fertiggebracht, ihr von dem Testament und Rademacher zu erzählen? Pia würde doch ohnehin erfahren, wem Ludwig Hirtreiter diese Wiese vererbt hatte, wenn sie es nicht schon wusste. Hatte er geschwiegen, weil er schon den ganzen Tag insgeheim darüber nachdachte, Rademachers Vorschlag zu folgen?
    Bodenstein biss sich nachdenklich auf die Unterlippe. Er musste Pia anrufen, auf der Stelle. In den Taschen seines Jacketts, das er wegen der Hitze ausgezogen hatte, suchte er nach seinem Telefon.
    Noch immer war es elend schwül, kein Lufthauch regte sich. Um die Laterne schwirrten ein paar Motten, Donnergrollen und Wetterleuchten in der Ferne verhießen ein abkühlendes Gewitter.
    Bodenstein tippte Pias Nummer ein, hörte aber nur ihre Mailboxansage. Er bat sie um Rückruf, egal zu welcher Uhrzeit, und steckte das iPhone wieder weg. Sein knurrender Magen erinnerte ihn daran, dass er heute noch nicht gegessen hatte. Er stieg aus. Wieso war das große schmiedeeiserne Hoftor geschlossen? Normalerweise stand es immer offen. Mit einem leisen Fluch kramte er den Schlüssel aus der Tasche, schloss auf und betrat den Hof. In der Wohnung seiner Eltern an der gegenüberliegenden Seite des Hofes brannte Licht. Mit etwas Glück würde er im Kühlschrank seiner Mutter noch etwas zu essen finden, außerdem musste er sich nach dem Befinden seines Vaters erkundigen. Bodenstein ging an der mächtigen Kastanie vorbei, nahm die drei Stufen zur Haustür und stellte überrascht fest, dass auch diese abgeschlossen war. Eine Klingel gab es nicht, deshalb klopfte er mit der Faust gegen die schwere Tür aus Eichenholz. Wenig später öffnete sein Vater und lugte mit angespannter Miene über die rostige Sicherheitskette durch den Türspalt.
    Â»Ach, du bist’s«, sagte er, schloss die Tür wieder und öffnete dann ganz.
    Â»Warum habt ihr euch denn so verbarrikadiert?« Bodenstein betrat den Flur, in dem es nach Bohnerwachs roch. Sein Vater spähte argwöhnisch in den dunklen Hof hinaus, bevor er die Kette wieder einhakte, den eingerosteten Riegel vorschob und den Schlüssel zwei Mal im Schloss drehte. Im Halbdunkel tauchte seine Mutter auf. Als er den ängstlichen

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