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Wer Wind sät

Wer Wind sät

Titel: Wer Wind sät Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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Herz des Toten in der Hand und betrachtete es genau. »Sein Herz war ziemlich im Eimer. Starke Linksherzvergrößerung und Vernarbungen.«
    Er ließ das Organ in eine Metallschüssel fallen.
    Â»Und hier haben wir auch die Ursache für die starken inneren Blutungen. Ruptur der Aorta descendens .«
    Â»Vielleicht hat er einen heftigen Stoß gegen die Brust bekommen«, vermutete Pia und versuchte, sich auf den Fortgang der Obduktion zu konzentrieren, auf die reinen Fakten, die Henning akribisch zusammentrug, aber es wollte ihr nicht gelingen. Vergeblich kämpfte sie gegen die Übelkeit, die Überreste ihres Nutella-Toasts krochen, vermischt mit Magensäure, ihre Speiseröhre empor.
    Wie aus weiter Ferne hörte sie Hennings Stimme.
    Â»Nein, ich denke, es war ganz anders. Der Mann hat einen Infarkt erlitten und ist die Treppe hinuntergefallen. Aufprall auf die rechte Körperseite, dafür sprechen die Knochenbrüche und Prellungen. Aber dann muss jemand versucht haben, ihn zu reanimieren. Die linksseitigen Serienbrüche der Rippen, der Bruch des Sternums, die Quetschungen der Haut – typische Reanimationsverletzungen, die in diesem Fall wohl die Ruptur der Aorta …«
    Plötzlich gaben Pias Knie nach, und als Henning die Leber aus der geöffneten Bauchhöhle des Toten nahm, taumelte sie hinaus in den Flur, riss die Tür zur Toilette auf und schaffte es gerade noch bis zur Kloschüssel. Würgend und hustend übergab sie sich und sank dann auf den kalten Boden. Tränen vermischten sich auf ihrem Gesicht mit kaltem Schweiß, sie zitterte am ganzen Körper und blieb vor dem Klo hocken, weil ihr die Kraft fehlte, aufzustehen. Jemand beugte sich über sie und betätigte die Toilettenspülung. Pia sackte gegen die weißen Wandfliesen, beschämt fuhr sie sich mit dem Handrücken über den Mund.
    Â»Was hast du denn?« Henning ging vor ihr in die Hocke und blickte sie mit einer Mischung aus Erstaunen und Sorge an.
    Â»Ich … ich weiß auch nicht«, flüsterte Pia. So etwas war ihr noch nie passiert, sie schämte sich und war gleichzeitig froh, dass nur Henning und Ronnie Zeugen dieses erniedrigenden Vorfalls geworden waren und nicht auch noch ein nassforscher Staatsanwalt, der das sofort herumtratschen würde.
    Â»Komm, steh auf.« Henning hatte seine Handschuhe ausgezogen, schob seinen Arm unter ihre Achsel und zog sie hoch. Sie lehnte sich an die Wand, grinste zittrig.
    Â»Geht schon wieder. Danke. Ich weiß auch nicht, was eben los war.«
    Â»Du musst nicht mehr dabeibleiben«, sagte Henning. »Wir sind so gut wie fertig. Den Bericht kann ich dir später schicken.«
    Â»Unsinn«, widersprach Pia. »Mir geht’s wieder gut.«
    Sie beugte sich über das kleine Waschbecken, ließ kaltes Wasser in ihre hohlen Handflächen laufen und tauchte das Gesicht hinein. Dann trocknete sie sich mit einem Papierhandtuch ab. Sie begegnete Hennings belustigtem Blick im Spiegel.
    Â»Du lachst mich aus«, stellte sie gekränkt fest. »Das ist gemein.«
    Â»Nein, nein, ich lach dich nicht aus.« Er schüttelte den Kopf. »Ich dachte nur gerade: Das ist echt meine Pia. Jede andere Frau hätte sich Sorgen um ihr Make-up gemacht, aber du schaufelst dir einfach Wasser ins Gesicht und gut.«
    Â»Erstens bin ich nicht mehr deine Pia, zweitens habe ich kein Make-up im Gesicht.« Pia wandte sich zu ihrem Exmann um. »Und drittens habe ich keine Lust, mit Kotze in den Mundwinkeln herumzulaufen.«
    Henning hörte auf zu grinsen. Er legte seine Hand an ihre Wange.
    Â»Du bist eiskalt.«
    Â»Wahrscheinlich ist mein Kreislauf im Keller.« Pia ärgerte sich über ihre Schwäche. Sie hasste es, sich nicht unter Kontrolle zu haben. Henning betrachtete sie mitfühlend, streckte die Hand aus und strich ihr eine Haarsträhne aus der Stirn. Pia zuckte zurück. Sie wollte kein Mitleid, schon gar nicht von ihrem Exmann.
    Â»Lass das!«, fauchte sie unwirsch.
    Er ließ seine Hand sinken.
    Â»Ich muss weitermachen«, sagte er. »Komm rüber, wenn du so weit bist, okay?«
    Â»Ja. Klar.« Pia wartete, bis Henning das Klo verlassen hatte, und wandte sich zum Spiegel um. Trotz der Sonnenbräune sah sie kränklich aus. Sie war seit zwanzig Jahren Polizistin, hatte zehn Jahre K 11 hinter sich und weitaus schlimmere Dinge gesehen als Grossmanns Leiche. Wieso ging ihr

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