Wer Wind sät
das auf einmal so an die Nieren? Niemand durfte erfahren, dass sie bei einer Obduktion zusammengeklappt war, sonst würde man sie vielleicht noch zum psychologischen Dienst schicken!
»Reià dich zusammen, Pia!«, sagte sie laut zu ihrem Spiegelbild. Dann drehte sie sich um, öffnete die Tür und ging zurück in den Sektionsraum.
*
Er stand an der StraÃenecke hinter dem groÃen Kirschlorbeer und wartete geduldig, bis ihr Auto aus der Einfahrt kam und nach links Richtung Stadt abbog. Vorsichtshalber lieà er noch ein paar Minuten verstreichen, dann lieà er den Roller an und fuhr zum Haus. Viel Zeit blieb ihm nicht, sie war weder ins Büro noch in die Stadt gefahren, das hatte er unschwer an ihrem nachlässigen Outfit erkennen können. Wahrscheinlich fuhr sie nur einkaufen oder in den Baumarkt, wie beinahe täglich. Mark stellte den Roller ab, sprang die Treppenstufen hoch und öffnete die Haustür. Seinen Helm knallte er im Vorbeigehen auf die antike Biedermeier-Anrichte, die sie auf einer Wohnungsauflösung gefunden und in ihrer Werkstatt sorgfältig aufgearbeitet hatte. Hoffentlich gab es eine fette Schramme! Möbel restaurieren war die neueste Leidenschaft seiner Mutter, sie machte ein Geschiss um die wurmstichigen Drecksdinger, als wären sie Lebewesen. Ziemlich krank. Doch insgeheim war er froh darüber, denn seitdem sie an dem alten Kram herumfummelte, war sie nicht mehr ständig hinter ihm her, was die Schule anging. Die Tür ihres Arbeitszimmers stand offen, und er sah auf den ersten Blick, dass ihr Laptop nicht da war.
Mark ging die Treppe hinunter in den Keller und betrat die Werkstatt. Der durchdringende Geruch nach Terpentin, Leinöl und Schleiflack lieà ihn die Nase rümpfen. Er drückte auf den Lichtschalter und blickte sich um. Auf jeder verfügbaren Fläche standen und lagen Dosen, Pinsel, Schmirgelpapier und aller möglicher Krempel, den sie für ihre Arbeit brauchte. Sie besaà sogar ein SchweiÃgerät, mit dem sie neue Beschläge bearbeitete, wenn die alten zu marode waren. Aber wo zum Geier war ihr Laptop? Mark ging vorsichtig durch den Raum, um bloà nichts umzuwerfen. Ah, da stand das Ding. Achtlos auf einem Stuhl abgestellt, unter einem Stapel von Katalogen. Mark legte die Kataloge auf den Boden, kniete sich vor den Stuhl und klappte den Laptop auf. Das Passwort war simpel, sie änderte es nie. Routiniert loggte er sich in den Firmenserver ein. Wenig später öffnete er den E-Mail-Account seines Vaters und scrollte abwärts, bis er den Absender fand, nach dem er gesucht hatte. Er arbeitete konzentriert, markierte alle Nachrichten und leitete sie weiter. Danach löschte er sie gewissenhaft aus dem Ordner âºGesendetâ¹, damit sein Vater keinen Verdacht schöpfte, und leerte mit einem Mausklick den Papierkorb. Er konnte nicht widerstehen und checkte auch kurz die E-Mails seiner Mutter; unter den neuesten Nachrichten entdeckte er eine von seiner Deutschlehrerin, dieser blöden Kuh, die sich wieder mal über seine Fehlzeiten aufregte.
»Fuck you«, murmelte er und verschob die E-Mail in den Papierkorb. Das warâs schon gewesen. Noch leichter, als er angenommen hatte. Er klappte den Laptop zu, platzierte sorgfältig die Kataloge auf dem Deckel und verlieà die Werkstatt, wobei er darauf achtete, keine verräterischen Spuren zu hinterlassen. Halb zehn! Wenn er einen Zahn zulegte, würde er es noch pünktlich zur dritten Stunde in die Schule schaffen.
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Es waren nicht wenige Informationen, die Kai Ostermann dem Internet über die Bürgerinitiative »Keine Windräder im Taunus« abgerungen hatte. Die Webseite der Initiative war so aktuell, dass sich dort sogar schon ein Link zum gestrigen Beitrag in der Hessenschau fand. Ostermann spielte den Film auf den groÃen Monitor im Besprechungsraum des K 11 .
»Das ist Jannis Theodorakis«, erklärte Ostermann, als der dunkelhaarige Mann ins Bild kam. »Wohl der Sprecher der Bürgerinitiative. Und ihr Webmaster.«
»AuÃerdem ein ehemaliger Mitarbeiter der WindPro«, ergänzte Cem Altunay. »Theodorakis hat die Firma im Streit verlassen und bereitet ihr bis heute Probleme. AuÃerdem hat er nie seinen Zentralschlüssel abgegeben. Leider konnte ich bis jetzt nicht seinen aktuellen Wohnsitz herausfinden. Die offizielle Anschrift der Bürgerinitiative ist die eines Ludwig Hirtreiter in
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