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Wer Wind sät

Wer Wind sät

Titel: Wer Wind sät Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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klopfte widerwillig und öffnete die Tür.
    Â»Hallo, Mark-Philipp. Setz dich.«
    Mark gehorchte und ließ sich auf einen der Besucherstühle fallen. Er kannte das Prozedere in- und auswendig. Dieselben Sprüche, die sein Vater draufhatte, in derselben Reihenfolge. Erst Strenge: Warum schwänzt du die Schule? Das hat Konsequenzen. Dann der Appell an seine Vernunft: Du bist doch intelligent. Warum verdirbst du dir so deine ganze Zukunft? Schließlich Drohung: Nachsitzen. Schulverweis. Ob es das irgendwo vorgedruckt gab?
    Aber heute ließ sich der Direktor Zeit, blickte nicht einmal von seinem Computerbildschirm auf. Schweigend tippte er auf seiner Tastatur herum, als sei er allein in seinem Büro. Dann kam sogar noch ein Anruf, und er quatschte in aller Seelenruhe mit irgendwem über Privatkram. Die Minuten vergingen. War das eine neue Taktik? Zermürbung? Mark überlegte kurz, ob er einfach seinen iPod einschalten und Musik hören sollte, aber ein winziger Rest des alten Respekts hielt ihn davon ab.
    Â»Da sitzen wir also mal wieder«, sagte Dr. Sturmfels plötzlich. »Wie du siehst, gebe ich nicht so schnell auf. Willst du mir heute irgendetwas erzählen?«
    Mark blickte ihn kurz an, dann schlug er die Augen nieder. Dr. Sturmfels saß zurückgelehnt in seinem Sessel, die Arme vor der Brust verschränkt, und betrachtete ihn forschend. Sein Blick zerrte unerbittlich an einer Tür in Marks Innerem, hinter der etwas verborgen war, was nur ihm gehörte.
    Â»Nö«, murmelte er und blickte auf seine Hände. Unwillkommene Erinnerungen stiegen in ihm auf, Erinnerungen an eine andere Schule, einen anderen Lehrer. Das Haar fiel ihm ins Gesicht, er konnte sich dahinter verstecken wie hinter einem Vorhang.
    Â»Ich weiß, dass dich das nicht interessiert«, fuhr der Direktor fort, »aber ich wüsste wirklich gerne, was mit dir los ist.«
    Mark musste schlucken. Drohungen und Gebrüll machten ihm nichts aus, aber die verständnisvolle Tour ging gar nicht. Sein Unbehagen wuchs. Er musste hier raus. Auf der Stelle. Doch es war zu spät, denn die Tür zur Vergangenheit hatte sich bereits einen winzigen Spaltbreit geöffnet, und der Schmerz rieselte hindurch wie ein dünnes Rinnsal. Er steckte die Hände in die Taschen seiner Jacke und ballte sie zu Fäusten. Warum kapierte keiner, dass er einfach nur in Ruhe gelassen werden wollte?
    Â»Der Einzige, dem du mit deiner Verweigerungshaltung schadest, bist du selbst«, sagte der Direktor. »Deine Eltern haben mir erzählt, was damals im Internat vorgefallen ist, und ich weiß …«
    Â»Hören Sie auf!«, fiel Mark ihm heftig ins Wort und sprang auf. »Sie wissen gar nichts. Alle behaupten immer, sie wüssten irgendwas. Das stimmt doch gar nicht.«
    Â»Was ist es dann?« Dr. Sturmfels blickte ihn ruhig und gelassen an, schien ihm seine heftige Reaktion nicht übelzunehmen. »Was bringt einen intelligenten Jungen wie dich dazu, die Schule zu schwänzen und Autos mit Golfschlägern zu demolieren?«
    Mark stemmte sich mit aller Macht gegen die Tür, aber der Druck wurde stärker und stärker. Unerwünschte Erinnerungen explodierten schmerzhaft in seinem Kopf. Erzähl uns, was passiert ist. Wir helfen dir. Es wird niemand erfahren. Das bleibt unter uns, hier im Raum. Von wegen! Sich selbst und ihrem schlechten Gewissen hatten sie vielleicht geholfen, aber nicht ihm. Erst hatten sie einen auf verständnisvoll gemacht, und dann hatten sie ihn im Stich gelassen, so war es doch immer gewesen. Mark hatte die Schnauze so voll von diesem geheuchelten Mitgefühl und dem Psychogequatsche! Warum hielt ihm der blöde Sturmfels nicht einfach seine übliche Predigt und fertig?
    Â»Das verstehen Sie eh nicht«, stieß Mark trotzig hervor und wandte dem Direktor den Rücken zu. Schmerzhaft und grell und unerträglich heiß raste die Wut durch seine Adern, und er wusste, er würde die Kontrolle verlieren, wenn er nicht sofort hier raus kam.
    Ricky, dachte er. Die Stimme des Direktors verebbte irgendwo im Rauschen in seinem Kopf. Er floh. Sollte der Sturmfels denken, was er wollte, es war ihm scheißegal.
    *
    Die Besprechung war beendet, die Leiter der Projektabteilung und die verantwortlichen Ingenieure verließen das Büro. Die Luft in dem aufgeheizten Raum war nach drei Stunden Konferenz stickig von den Ausdünstungen der Männer.

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