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Wer wir sind

Wer wir sind

Titel: Wer wir sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Friedrich
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die der Gefangenenmisshandlung bezichtigt worden sind.
    Das Problem ist, dass diese sogenannten verschärften Vernehmungen von Seiten der höchsten Staatsführung für erforderlich und unerlässlich anerkannt worden sind. Da ist es dann freilich widersinnig, die ausführenden Beamten wegen Amtsverbrechens zu verfolgen. Aber genau das müssen die Staatsanwälte tun. Sie können nicht einfach nach freiem Ermessen von Verfahren Abstand nehmen, wollen sie sich nicht der strafbaren Rechtsbeugung schuldig machen. Und auch die individuelle Niederschlagung jedes einzelnen Falls ist keine Möglichkeit. Angesichts der puren Masse der Fälle wäre der Führer, der allein das Niederschlagungsrecht besitzt, damit über alles Maß hinaus belastet.
    Der einzig gangbare Weg liegt also in einer gesetzlichen Regelung. Mit anderen Worten, den Staatsanwälten muss die Möglichkeit gegeben werden, ein Verfahren gegen einen prügelnden Polizisten wegen Mangels der Rechtswidrigkeit einzustellen.Joëls Sekretärin tippt. Ihr Chef hat ihr aufgetragen, von dem als vertraulich zu behandelnden Protokoll der vorgestrigen Sitzung eine Kopie anzufertigen. Frage 1: Bei welchen Delikten sind »verschärfte Vernehmungen« zulässig?
    Es herrschte Übereinstimmung, dass derartige Vernehmungen nur in solchen Fällen vorgenommen werden dürfen, in denen der Sachverhalt unmittelbare Staatsinteressen berührt. Als solche kommen in erster Linie Hoch- und Landesverrat in Betracht. Die Vertreter der Gestapo gaben
    der Meinung Ausdruck, dass möglicherweise auch in Bibelforscher-, Sprengstoff- und Sabotagesachen eine verschärfte Vernehmung in Frage kommen könnte. Sie behielten sich
    jedoch insoweit eine Stellungnahme nach weiterer Erörterung mit dem Herrn Reichsleiter der SS vor. Frage 2: Art der körperlichen Einwirkungen?
    Grundsätzlich sind bei verschärften Vernehmungen nur
    Stockhiebe auf das Gesäß, und zwar bis zu 25 Stück zulässig. Die Zahl wird von der Gestapo vorher bestimmt. Vom
    10. Stockhieb an muss ein Arzt zugegen sein. Es soll ein
    »Einheitsstock« bestimmt werden, um jede Willkür auszuschalten. Frage 3: Wer ordnet die Vornahme einer verschärften Vernehmung an?
    Grundsätzlich nur die Gestapo in Berlin. Die örtliche Stapostelle muss vor verschärfter Vernehmung die Genehmigung in Berlin einholen. Ohne Vorliegen der Genehmigung
    darf eine verschärfte Vernehmung nicht vorgenommen
    werden. Frage 4: Wer führt die körperliche Einwirkung durch?
    In keinem Fall darf der Beamte, der die Vernehmung durchführt, auch die Einwirkung vollziehen. Vielmehr wird hierfür ein besonderer von den Stapostellen auszuwählender
    Beamter bestimmt werden. Frage 5: Welche Sicherungen sind gegen die Anwendung verschärfter Vernehmungsmaßnahmen bei Unschuldigen gegeben?
    Die Frage wurde durch die zu Frage 3 erörterten Sicherungsmaßnahmen für erledigt erklärt.
    »Ich habe heute Wiedemann in der Reichskanzlei getroffen, Hitlers persönlichen Adjutanten«, sagt Hans von Dohnanyi zu seiner Frau Christel. »Angeblich hat Hitler zu ihm gesagt: Jede Generation braucht ihren Krieg, und ich werde dafür sorgen, dass auch diese Generation ihren Krieg bekommt.« Hans nimmt seine Brille ab, er reibt sich die Augen. »Wiedemann sagt, gegen Hitler hilft nur noch der Revolver. Die einzige Frage wäre: Wer soll es machen?« Hans setzt die Brille wieder auf. »Aber das ist natürlich absurdes Gerede.«
    »Ich denke, wir sollten sie alle ins KZ schicken«, sagt Abwehr-Offizier Friedrich Wilhelm Heinz in Hans Osters Büro in der Abwehr am Tirpitzufer. »Alle höheren Wehrmachtsoffiziere. Das wäre doch ein nützlicher Ausflug für sie.«
    Die Idee findet allgemeinen Zuspruch. Der KZ-Inspekteur und Führer der SS-Wachverbände Theodor Eicke lässt es sich nicht nehmen, höchstpersönlich die drei Busladungen hochgestellter Wehrmachtsoffiziere willkommen zu heißen, für die Friedrich Wilhelm Heinz und Hans Oster den Ausflug ins KZ Sachsenhausen organisiert haben. Er sichert den Offizieren zu, ihnen authentischen KZ-Alltag bieten zu wollen. Nach einer orientierenden Führung durch das Lager folgen der Lagerappell, der Vollzug der Prügelstrafen, schließlich eine Musikvorführung des KZ-Orchesters.
    Die Offiziere haben auf dem Heimweg wenig gesprochen. Es sind für alle sehr, sehr eindrückliche Stunden gewesen. Womöglich waren die Herren sogar zu gründlich beeindruckt, um offiziell gegen die Willkür in den Lagern zu protestieren oder sich klar gegen das Regime zu

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