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Wer wir sind

Wer wir sind

Titel: Wer wir sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Friedrich
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Vaterunser. Es ist, als fielen ihr keine anderen Worte ein.
    Charlotte kauert auf dem Steg am See. Um sie liegen die Kinder auf den Bäuchen. Sie starren in die Tiefe. Es ist Schuschu, die heute die Krümel ins Wasser werfen darf. Und da sind sie: Die Fische sind pünktlich, so pünktlich wie die Kinder. Jeden Nachmittag finden sie sich am Steg ein. Zuoberst flitzen die kleinen Fische umher. Darunter, in der grünen Tiefe, stehen Barsche, große Plötze. Von den Kindern kleine Laute des Glücks, der Begeisterung, des frohen Staunens. Sie staunen jedes Mal neu über die fremde Welt unten im See, der doch zu Trebbow gehört, zu den Normalitäten von Trebbow. Es ist genau dieser See, in den sie vom Steg aus hineinspringen, in dem sie schwimmen, mit weiten geübten Zügen oder mit einem Korkgürtel, die Arme um Tisas oder Charlottes Hals geklammert. Aber im Wasser weiß man nichts von ihnen. Und sie wissen nichts von denen im Wasser. Die Welten begegnen einander nur einmal am Tag: wenn die fremdartigen Krumen aus dem Trebbower Brotkorb hinab zu den Bewohnern der Tiefe sinken.
    »Frau Gräfin.«
    Alice eilt Charlotte auf der Schlosstreppe entgegen.
    »Hanke war da.«
    Der Förster von Trebbow. Ortsgruppenleiter Hanke.
    »Hanke hat zur Köchin gesagt, der Graf wäre verhaftet worden.«
    Eine große Erleichterung überkommt Charlotte. Ein großer Zorn. Das ist das Ende der Hoffnungen. Es ist das Ende der Unklarheit. Es ist das Ende des Spiels: Charlotte muss nun nicht mehr tun, als wäre alles in Ordnung. Sie darf nun Besorgnis zeigen, Angst, Wut. Gerechten Zorn: Wie kann Hanke es wagen, den besten Mann auf solch hanebüchene Weise zu beschuldigen? Sie kann nun handeln. Sie kann Fritzi finden. Vielleicht kann sie ihm helfen.
    Der Teilnehmer antwortet nicht. Der Teilnehmer antwortet nicht. Der Teilnehmer antwortet nicht.
    Clarita ruft wieder und wieder in der Berliner Wohnung an, die sie im Herzen ihr Zuhause nennt. Das Amt bestätigt, dass der Ruf durchgeht. Aber Adam antwortet nicht.
    Wo bist du? Halte einen Weg frei, auf dem ich dich wiederfinden kann, Adam.
    Es ist aber nicht Adam, der schließlich anruft. Es ist sein Bruder Werner.
    »Clarita. Adam ist krank.«
    »Ich komme sofort.«
    »Es ist eine unerhörte Frechheit.«
    Charlotte und Tisa haben die Gestapo-Dienststelle in Schwerin aufgesucht.
    »Es ist absolut nicht zu tolerieren, dass Ortsgruppenleiter Hanke dergleichen Lügen verbreitet.« Charlotte ist eineLöwin, mit ihrem roten Mund, ihrem roten Haar. »Ich verlange, dass der Mann bestraft wird. Der Mann untergräbt die Autorität meiner Schwägerin auf dem Gut. Er untergräbt das Ansehen meines Mannes. Es dürfte bekannt sein, wer Graf von der Schulenburg ist. Es dürfte bekannt sein, dass sein Vater mit militärischen Ehren in Anwesenheit des Führers und des Reichsführers-SS beigesetzt worden ist. Es dürfte bekannt sein, dass mein Schwager Oberstleutnant Wolf-Werner von der Schulenburg als Kommandeur des Fallschirmjäger-Regiments 13 vor einer Woche an der Westfront gefallen ist.«
    Der Kommissar steht leicht gebückt. Er ist ruhig und geduldig. Er nimmt alle Angaben zu Protokoll.
    »Aber wir sind die falsche Stelle«, sagt er. »Wir sind nicht befugt, in diesem Fall Informationen weiterzugeben. Sie müssen sich an den Gauleiter wenden. Gauleiter Hildebrandt. Frau von Barner, ich denke, Sie sind miteinander bekannt.«
    So ist es. Friedrich Hildebrandt, Gauleiter von Mecklenburg, Freund und Verehrer des alten Grafen Schulenburg, eilt ihnen durch sein langgestrecktes Büro entgegen.
    »Meine liebe gnädige Frau von Barner, sehr verehrte Frau Gräfin. Aber so nehmen Sie doch Platz. Ich ahne, was Sie zu mir führt.«
    »Es heißt, mein Bruder wäre verhaftet worden.«
    »Das ist leider wahr.«
    »Aber wie ist das möglich? Was wirft man ihm denn vor?«
    Hildebrandt zieht die Brauen hoch.
    »Liebe Frau von Barner«, sagt er. »Das fragen Sie im Ernst? Sie, die den Grafen Stauffenberg beherbergt haben?«
    »Na und?«, sagt Charlotte. »Seit wann ist es verboten, Gäste einzuladen? Es konnte doch keiner wissen, was Stauffenberg einmal tun würde.«
    »Ihr Mann hat es gewusst«, sagt Hildebrandt. »Er ist tief in die ganze Sache verwickelt.«
    Charlotte richtet sich auf.
    »Das glaube ich nicht. Aber was immer er getan hat, ich stehe voll und ganz hinter ihm, aus dem einfachen Grund, weil mein Mann nichts Unrechtes tun kann.«
    Hildebrandt seufzt.
    »Ach, wissen Sie«, sagt er. »Recht und Unrecht. Aber ich werde

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