Wer wir sind
Büroräume.
»Frau Gräfin. Ich muss Ihnen eine traurige Mitteilung machen.«
Charlotte steht starr.
»Ihr Mann lebt. Aber ich kann nichts für ihn tun. Und es ist Sippenhaft angeordnet. Die Frauen sollen alle verhaftet werden. Ich werde versuchen, es in Ihrem Fall zu verhindern. Sie müssen mir aber auf Treu und Glauben. Ich meine, Sie müssen mir versprechen. Also, ich muss darauf vertrauen können, dass Sie keine Besuche empfangen und Trebbow nicht ohne meine Erlaubnis verlassen.«
»Anderenfalls?«
»Anderenfalls kämen Sie ins KZ Flossenbürg, nach allem, was ich weiß.«
»Ich bleibe hier«, sagt Charlotte. »Wir werden uns unter Ihre Aufsicht stellen.«
Helmuth Moltke ist verlegt worden, in eine Zelle zur Nordseite hin. Das Strafestehen vom frühen Morgen bis in die Nacht findet jetzt vor seinem Fenster statt. Und immer werden die Frauen angeschrien. Das ist sehr unangenehm. Auch in der Verwaltungsbaracke gegenüber wird immer gelärmt. Der Lärm ist unangenehm. Es ist die Sorte Lärm, den man schwer erträgt, ohne sich zu ducken oder zurückzuschreien oder zu weinen. Es ist böses fieses Gebrüll. Es sind die Schreie Langbehns, dem sie die Hände auf dem Rücken fesseln, bevor sie ihn in seiner Zelle prügeln, Puppis Weinen ob dieser Schreie. Helmuth ist nicht gern in dieser Zelle. Es fällt schwer, hier das Studien- und Leseprogramm durchzuhalten. Es fällt schwer zu glauben, sein Name würde nicht früher oder später in einem der Verhöre fallen. Was wird es ihm dann nützen, dass er zumZeitpunkt des Attentats in Haft war? Und Helmuth darf nur noch zehn Zeilen schreiben. Breier war da, der die Briefe zensiert. Er hat es erklärt. Es ist nicht böse gemeint. Aber lange Korrespondenzen kann Breier einfach nicht mehr bewältigen, bei so vielen Häftlingen, die an ihre Frauen schreiben.
Freya wird kommen. Man hat Helmuth Moltke schon um eins nach Drögen gebracht, und nun sitzt er vor der Baracke in der Sonne, wartet auf seine Frau und sieht einer Gruppe militärischer Größen bei ihrem Spaziergang zu. Welch prunkvolle Uniformen: Generäle gehen da, Admiräle, Generalstabsoffiziere. Haben sich am Ende doch noch so viele gegen ihren obersten Dienstherrn gewandt? Oder hat es sich nur dumm ergeben, dass ihre lauwarme Halbherzigkeit, ihr Mangel an Mut und Vorstellungskraft sie hierhergebracht hat, wo andere aufgrund ihres Anstands und ihres klaren Urteils gelandet sind? Inmitten der Prachtuniformen sieht Helmuth Wilhelm Canaris. Er ist also auch hier, der einstige Leiter der Abwehr, den Helmuth in seinen Briefen an Freya gern den kleinen Matrosen genannt hat.
Und dann kommt Freya. Alles andere fällt von ihm ab. Nur das eine zählt: Seine Frau ist gekommen.
»Pimmes?«
»Mein Herz.«
Sie sehen einander in die Augen.
»Du verstehst die Lage.«
Sie nickt. Sie sitzen in ihrer Ecke am Tisch, vor ihren Teetassen. Der Gestapo-Beamte telefoniert.
»Höre«, sagt Helmuth leise. »Wenn ich dir schreibe, die Wiese unten an der Tongrube sollte umgepflügt werden, dann beziehe ich mich auf meine Situation. Der Anteil der umzupflügendenFläche entspricht dem geschätzten Grad meiner Gefährdung. Hundert Prozent umpflügen hieße also, ich rechne nicht mehr damit, mit dem Leben davonzukommen.«
»Aber noch gibt es keinen Hinweis.«
»Noch nicht. Man kann aber kaum davon ausgehen, dass das so bleibt.«
»Helmuth? Bist du den anderen böse?«
»Nein. Das würde ja implizieren, dass sie es sind, die mein Schicksal bestimmen. Das liegt aber in der Hand eines anderen. Wie im Übrigen auch ihr eigenes Schicksal.«
»Auch Peter bist du nicht böse.«
Eine kurze Pause.
»Nein.«
Der Gestapo-Beamte hat sein Telefonat beendet. Helmuth gießt Freya Tee ein. Freya öffnet den Aktenordner mit Kreisauer Angelegenheiten, den sie mitgebracht hat. Sie sagt: »Zeumer hat hier für dich aufgelistet, was die Hackfrucht voraussichtlich – «
Das Telefon klingelt. Helmuth ergreift Freyas Hand.
»Höre. Bleibt unbedingt so lange wie irgend möglich auf Kreisau. Halder sitzt in der Zelle neben mir. Er glaubt genau wie ich, dass Serpuchoff an Kreisau vorüberziehen wird, um so schnell wie möglich nach Berlin zu gelangen. Überall im Reich wird die Lage dann ungemütlicher sein als daheim. Auf Kreisau habt ihr doch immerhin zu essen und ein Dach über dem Kopf.«
»Ja«, sagt Freya. »Ich habe durchaus nicht vor, von zu Hause wegzugehen, wenn es nicht unbedingt sein muss.«
Er lächelt. Wie ist es erquickend und
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