Wer wir sind
nicht allein draußen leben, ohne die Kameraden. Claus Stauffenberg ist tot, Werner Haeften ist tot, Fritzi Schulenburg ist verhaftet. Klausing hat sich nach zwei qualvollen Tagen im Versteck freiwillig der Gestapo gestellt.
Er hat die Zeichen göttlicher Gnade erkannt: Gott hat den Führer gerettet und alles zunichtewerden lassen. Gott hat sie alle zunichtewerden lassen, die das Chaos heraufbeschwören wollten. Diese Führer durften nicht gewinnen. Sie hätten das deutsche Volk in den Untergang geführt. Sie waren ja alle ungenügend, unfähig, sie waren während des Putsches Versager und sie wären als Führer des Volkes Versager gewesen.
Natürlich nicht Claus Stauffenberg, nicht Fritz-Dietlof Schulenburg, nicht Werner Haeften. Das waren große, gute Männer, strahlende Männer. Ohne sie ist die Welt verdüstert und leer. Ohne sie lohnt es sich nicht, am Leben zu bleiben. Aber sie waren zu wenige. Es gab zu viele wie Stieff, wie Fromm.
Es gab zu viele wie General Wagner und General Thiele, die am 20. Juli zum Mittagessen gingen, als Gerüchte aufkamen, das Attentat wäre fehlgegangen, und erst nach drei Uhr wieder zurückkehrten, zu viele wie Olbricht, der noch am Nachmittag zögerte, die Befehle der 2. Stufe herauszugeben, zu viele armselige Wichte mit roten Streifen an der Hose.
Es gab zu viele wie Friedrich Karl Klausing. Das hat er erst jetzt begriffen. Er selbst war es, an dem der Putsch gescheitert ist: Das hat man ihm mittlerweile klargemacht. Klausing hatte die Aufgabe, dem Leiter des Nachrichtendienstes in der Fernschreibzentrale des Bendlerblocks den Text des Fernschreibens zu übergeben, das Walküre in die hintersten Winkel des Reichs tragen sollte.
Der Führer Adolf Hitler ist tot! Eine gewissenlose Clique frontfremder Parteiführer hat unter Ausnutzung dieser Lage versucht –
Dieses Fernschreiben sollte die Unwissenden, die Außenstehenden, die nicht in die Verschwörung Eingeweihten dazu treiben, ahnungslos den Staatsstreich zu unterstützen. Klausing hat den Text Röhrig auch richtig ausgehändigt.
»Sofort an die genannten Empfänger durchgeben!«
»Sofort, Herr Hauptmann. Welche Dringlichkeits- und Geheimhaltungsstufe?«
Klausing hat gezögert. Aber an sich lag die Sache doch vollkommen klar.
»Höchste Dringlichkeitsstufe natürlich! Höchste Geheimhaltungsstufe!«
Warum hat niemand Klausing gesagt, dass das die Durchgabe des Schreibens unendlich in die Länge ziehen würde? Der Text einer geheimen Kommandosache muss ja erst verschlüsselt und dann an jeden Empfänger einzeln übermittelt werden. Bis das geschehen war, bis das Schreiben auch noch den letzten seiner vorgesehenen Empfänger erreicht hatte, war es längst später Abend und längst zu spät.
Das hat Friedrich Karl Klausing nun begriffen. Er hat versagt. Sie alle haben versagt. Und dafür hat er gegen das Gebot verstoßen, das heißt: Du sollst nicht töten. Es war alles ein furchtbarer Fehler. Er hätte sich nie darauf einlassen dürfen.Allein der Eltern wegen hätte er sich zurückhalten müssen, allein des Vaters wegen.
Friedrich Karl Klausing sitzt in der Zelle und schreibt seinen Eltern, dass er ruhig auf sich nehmen wird, was ihn erwartet. Sein Tod ist eine gerechte Sühne für das, was er den Eltern angetan hat.
So fragt nicht mehr nach mir. Lasst mich ausgelöscht sein.
»Ist es in Ordnung, wenn ich Sie hier aussteigen lasse?«
»Hier?«
Sie befinden sich am Stadtrand von Brieg. Marion Yorck schaut auf die Uhr. Aber es ist zu dunkel, um das Zifferblatt zu erkennen.
»Hier wollen Sie uns aussteigen lassen?«, sagt Marion. »Aber wir müssen doch zum Bahnhof.«
»Ja. Aber bitte, Sie müssen das einsehen. Dass ich besser nicht in die Stadt hineinfahre. Ich meine, unter den gegebenen Umständen.«
»Sie meinen, mit der Frau und der Schwester Peter Yorcks.«
Und wie oft war dieser Mann zu Gast auf Klein Oels und auf Kauern, wie lange hat er sich von Peter Freund nennen lassen? Dieser Mann, der nun nur noch ein Bekannter ist, ein Name, weniger als ein Name, ein namenloser Fremder, weniger als ein Fremder: Ein solcher könnte immerhin eines Tages ein Freund werden.
Marion und Davy hasten durch die nächtlich stillen Straßen. Der Zug nach Berlin geht um Mitternacht. Morgen beginnt der Prozess gegen Peter Yorck von Wartenburg. Das Haus in der Hortensienstraße 50 ist von der Gestapo beschlagnahmt. Marion wird im Dol wohnen, bei Davys Schwester, ihrer Schwägerin Püzze Siemens. Sie hegt nicht die geringste
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