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Wer wir sind

Wer wir sind

Titel: Wer wir sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Friedrich
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Stauffenberg gekannt zu haben. Sie erzählt bereitwillig, was Stauffenberg während seines Osterurlaubs auf Trebbow zum Frühstück gegessen hat. Sie berichtet von der eleganten Dame, in die sie den armen Klausing verwandelt haben, von Klausings Federboa, dem Turban mit Perlennadel und den Stöckelschuhen, in die er nicht passte. Die drei Beamten sind kurz davor, die Geduld zu verlieren. Charlotte erzählt gerade eine der langen Gespenstergeschichten, die sie abends am Kamin miteinander erfunden haben. Es bereitet ihr zunehmend Freude. Sie hätte nicht gedacht, dass sie diese Geschichten so genau erinnert. Alle ihre Erinnerungen sind frisch und leuchtend: Klausing mit den Kindern im Boot, Stauffenbergund Fritzi, die am Seeufer Steinchen über das Wasser schnippen, der kleine Fritzi auf den Schultern seines Vaters.
    »Nun hören Sie doch bitte auf!«
    »Warum? So war es. Stauffenberg sollte sich doch erholen, also haben wir es ihm so schön wie möglich gemacht. Er war schließlich so schwer verletzt worden, im Dienst für das Vaterland.«
    Aber sie haben noch eine kleine Rache parat. Im Gehen mustert einer Charlotte von oben bis unten.
    »Übrigens haben wir Ihren Mann gefragt, ob er bei all seinen Taten denn gar nicht an das Schicksal seiner Frau und seiner Kinder gedacht hat. Und wissen Sie, was er geantwortet hat? Nichts. Er hat darauf gar nichts geantwortet. Er hat nicht einen Gedanken an Sie verschwendet.«
    Charlotte sieht ihnen nach. Die Kleinheit dieser Menschen.
    Das hätte der Junge niemals tun dürfen. Er ist zu weit gegangen. Er hätte sich nicht so tief versündigen dürfen vor Volk, Vaterland, dem Führer und seiner Mutter. Er hätte sich niemals mit diesen Männern einlassen dürfen. Und vor allem hätte er das Leben seines Vaters nicht so einfach vernichten dürfen.
    Der Rektor der Deutschen Universität in Prag Professor Klausing, SA-Mann, Parteigenosse der ersten Stunde, steht im Arbeitszimmer seiner Dienstvilla in der Bubentscher Straße 55. Die Villa hat einst dem jüdischen Bankdirektor Emil Waigner gehört. Die Waigners leben natürlich längst nicht mehr. Emil Waigner ist in Mauthausen ermordet worden, seine Frau in Auschwitz. Waigners Bank für Handel und Industrie ist der Dresdner Bank zugefallen. Und in die Waigner-Villa sind die Klausings eingezogen, unmittelbar nach der Enteignung der Waigners im August 1940. Der Sohn Friedrich Karl lag damals bereits in Frankreich.
    Nun hat sich auch der Vater freiwillig an die Front gemeldet. Professor Klausing hat darum gebeten, den Tod durch den Feind suchen zu dürfen, als Sühne für die Verbrechen des Sohnes. Aber das hat man ihm verweigert. SA-Führer Franz May hat kategorisch Rektor Klausings Freitod verlangt. Er hat Klausing mit Sippenhaft gedroht, mit Entehrung und Auslöschung der ganzen Familie.
    Es lebe der deutsche Geist, es lebe Deutschland, es lebe der Führer!
    Das hat der Rektor nun unter seinen Abschiedsbrief geschrieben.
    Der Brief liegt auf dem Tisch. Vielleicht wird dieser Brief, vielleicht wird Klausings Tod alles wieder in Ordnung bringen? Aber das ist nicht möglich. Nie wieder wird irgendetwas in Ordnung kommen, nicht mit der kreischenden verzweifelten Mutter dort unten, nicht mit den Parteigenossen, vor denen Klausing beschämt und entehrt steht, für immer beschmutzt von der Schande, die sein Sohn über ihn gebracht hat.
    Vater, wie kannst du. Vater, angesichts der Verbrechen
    Ein einziges Mal gab es diese Diskussion. Danach nie wieder. Niemals wieder. Und nun sieht er, wo diese Haltung ihn hingebracht hat.
    Aufs Schafott hat sie ihn gebracht, den Sohn, und er, der Vater, ist zwischen Schraubstöcke gespannt, er wird von divergierenden Kräften zerrissen. Der Sohn hat die Familie vernichtet. Der Sohn hat den Vater vernichtet. Der Sohn war bereit, für seine Sache zu sterben. Hat der Vater je solche Treue empfunden? Professor Klausing empfindet sie jetzt. Er schiebt sich den Lauf der Waffe in den Mund.
    Hauptmann Friedrich Karl Klausing ist es in der Nacht vom 20. zum 21. Juli gelungen, zusammen mit Ludwig Freiherrvon Hammerstein-Equord den Schergen zu entkommen. Warum ist er danach nicht untergetaucht wie die Hammerstein-Brüder? Ludwig und Kunrat, die Söhne des ehemaligen Chefs der Heeresleitung, werden sich bis Kriegsende verbergen und alle Schrecken überleben. Aber Friedrich Karl Klausing ist aus anderem Holz.
    Der Adjutant Stauffenbergs, den Fritzi Schulenburgs Kinder einst in eine schöne Dame verwandelt haben: Er kann

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