Wer wir sind
dich in der Hand. Klaus, wie soll man das Emmi erklären, den Kindern?«
So sitzen sie zusammen, die ganze Nacht. Die Gestapo erscheint am nächsten Morgen.
»Natürlich ist damit unser Plan geplatzt, lieber Knobloch.«
Unteroffizier Knobloch schmuggelt schon seit Monaten Briefe für Dietrich Bonhoeffer aus dem Gefängnis, als Gegenleistung für regelmäßige Lebensmittelzuwendungen. Er ist ein Arbeiter aus dem Berliner Norden. Er hat sich überreden lassen, Dietrich in Monteursbekleidung aus dem Gefängnis zu holen und ihn bis zum Ende des Krieges in einer Laubenkolonie in Niederschönhausen zu verbergen. Die Schleichers haben die Kleidungsstücke bereits zu Knobloch nach Hause gebracht. Und natürlich hat man Knobloch zum Dank über das Kriegsende hinaus jegliche Unterstützung versprochen.
»Mein Bruder ist verhaftet worden«, sagt Dietrich. »Unmöglich kann ich nun aus der Haft fliehen. Es ist ja nur zu klar, dass man an ihm Rache nehmen würde.«
Erika von Tresckow ist aus der Haft entlassen. Ihr Mann ist tot. Ihre Söhne sind an der Front. Ihre Töchter sind verschleppt. Ihr Schwager Gerd hat sich am 6. September im Gefängnis Lehrter Straße die Pulsadern aufgeschnitten und ist verblutet. Eta von Tresckow tritt durch das Gefängnistor auf die Straße. Und da steht Margarethe von Oven.
»Övchen? Warum, meinst du, sind sie gescheitert?«
»Weil sie keine Meuchelmörder waren, Eta. Darum.«
»Dann hätten sie es lassen sollen.«
»Ich weiß nicht. Vielleicht. Aber was hätten sie dann gemacht?«Am 30. September wird Barbara von Haeften zum ersten Mal zum Verhör gerufen. Sie gehen zu Fuß in die Meinekestraße, Barbara, Clarita von Trott zu Solz und Annedore Leber, begleitet von einem Beamten.
Nun, ganz am Ende dieses Wegabschnitts, hat man Barbara also doch noch Fragen zu Briefen gestellt, die sie an ihren Mann geschrieben hat, zu Leuten, die sie gekannt haben soll. Der Kommissar hat das Verhör mit der Mitteilung begonnen, Barbaras Mann habe ausgesagt, seine Frau hätte alles gewusst.
Barbara hätte ihm ins Gesicht lachen können. In dem Moment war klar, dass Harald Poelchau recht gehabt hatte. Diese Leute waren gar nicht interessiert an der Wahrheit. Nun konnte Barbara in Ruhe lügen. Sie konnte lügen, lügen und lügen, bis der Beamte sie gehen ließ.
Clarita ist frei. Die Kinder sind zurück. Die kleine Clarita kann noch nicht sprechen. Aber Verena ist sehr tapfer hereinspaziert.
»So. Da bin ich wieder.«
Seitdem weint sie.
Clarita hält das weinende Kind in ihren Armen, drei Tage lang, drei Nächte lang. Es weint leise, kläglich, untröstlich. Clarita weint nicht. Sie presst die Lippen zusammen. Sie hört das Echo dieses Weinens in sich selbst. Aber sie weint nicht. Sie kann nicht. Sie kann sich nicht bewegen. Nichts kann sie bewegen. Ihre Seele trägt einen Panzer. Clarita wagt nicht, den Panzer auszuziehen. Sie wüsste auch überhaupt nicht, wie.
Uta von Tresckow und Christa von Hofacker haben einander zum Abschied lange umarmt. Sie haben es zuerst nicht geglaubt, dass man sie heimschickt. Aber der Wagen, in dem Utamit ihrer kleinen Schwester Heidi sitzt, fährt tatsächlich über die Glienicker Brücke.
»Heidi. Sie bringen uns wohl doch nach Hause.«
In die Potsdamer Burggrafenstraße, in die Wohnung, in der Margarethe von Oven mit der Mutter wartet.
»Meine Kinder. Meine Kinder. Jetzt fahren wir heim nach Wartenberg.«
Auch Annedore Leber hat ihre Kinder gefunden. Man hatte sie nach Dessau auf die Polizei gebracht, und von dort hat ein Gestapo-Mann sie mit zu sich und seiner Frau nach Hause genommen. Annedore ist sofort hingefahren. Den Kindern geht es gut. Annedore hat sie wieder nach Hordorf zurückgebracht, zu ihrer Mutter. Dann ist sie nach Berlin zurückgekehrt: Jüli ist nicht mehr in Ravensbrück.
Er ist in Berlin, in der Lehrter Straße. Er lebt. Annedore ist frei. Sie kann nun wieder um ihren Mann kämpfen. Sie kann ihm helfen, ihn pflegen und versorgen. Annedore reiht sich unter die Frauen vor dem Gefängnis Lehrter Straße ein.
Die Frauen stehen dort in langen Schlangen mit Essenspaketen und Wäsche. Nicht nur Verwandte stellen sich an. Auch die Frauen von Freunden kommen, mit belegten Brötchen, mit heißen Bratkartoffeln in Blechdosen, die sie sorgsam mit Papier umwickeln, um sie warm zu halten. In den Brötchen, auf hauchdünnes Papier geschrieben, finden sich Kassiber: Die Namen der Hingerichteten stehen darauf, gegen die man nun notfalls aussagen kann, kleine
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