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Wer wir sind

Wer wir sind

Titel: Wer wir sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Friedrich
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fünfzig Kinder sind es jetzt, im Kinderheim in Bad Sachsa. Das jüngste ist die zehn Tage alte Dagmar Hansen, das älteste der fünfzehnjährige Wilhelm Graf von Schwerin. Aber so heißen sie nicht. So dürfen sie nun nicht mehr heißen.
    Schulze. Du heißt ab jetzt Schulze.
    Du heißt Braun.
    Du Meister.
    Das hat man Berthold Stauffenberg gesagt. Er ist am 17. August in Lautlingen abgeholt worden, zusammen mit seinen Geschwistern und den Kindern seines Onkels Berthold. Die Jungen, mit denen er in einem Schlafsaal untergebracht ist, sind in seinem Alter und alle recht nett. Sie spielen den ganzen Tag: Esgibt ja keine Schule, auch keine Kirche. Die Erwachsenen sind alle ganz freundlich. Merkwürdig ist es allerdings, ohne Tischgebet essen zu müssen. Und nachts muss Berthold manchmal weinen. Die anderen Jungen aber auch. Nachts erinnern sie sich daran, wer sie sind.
    »Ich heiße in Wirklichkeit gar nicht Braun. Ich heiße Freytag von Loringhoven.«
    »Ich heiße auch nicht Meister. Ich heiße Stauffenberg.«
    Christa von Hofacker und Uta von Tresckow sitzen Hand in Hand. Uta ist in Haus 7 eingewiesen worden. Ihre kleine Schwester Heidi ist in einem anderen Haus: Die Geschwister sind nach Alter getrennt. Uta sieht Heidi vom Fenster, mittags, wenn Uta schlafen soll. Sie sollen immer viel schlafen. Uta heißt jetzt Wartenberg. Uta Wartenberg, das soll jetzt ihr Name sein. Abends liegt Uta im Bett und flüstert ihren wahren Namen. Sie klammert sich an diesen wahren Namen.
    Uta von Tresckow, Uta von Tresckow
    Uta und Christa haben eine Weile gebraucht, um einander zu gestehen, dass ihre Mütter im Gefängnis sind. Aber im Gegensatz zu Uta weiß Christa immerhin, warum alles ist, wie es ist. Sie flüstert es Uta eines Nachts ins Ohr.
    »Unsere Väter haben versucht, den Führer umzubringen.«
    Uta hält den Atem an. Dies ist ungeheuerlich. Uta weiß sofort, dass Christa recht hat. Dies klärt ja alles. Deswegen also hat die Gestapo Uta, Heidi und die Mutter in der Nacht zum 15. August in Wartenberg abgeholt und nach Küstrin gebracht.
    Es war eine kühle, klare Vollmondnacht. Die Polizisten waren eigentlich nett. Sie haben den Tresckows empfohlen, Decken mitzunehmen, warme Jacken, dann haben sie sie in einen riesigen schwarzen Mercedes verfrachtet. Heidi war ganz begeistertvon dem nächtlichen Ausflug in dem schönen Auto. Heidi ist fünf. Uta ist dreizehn. Ihr war gleich klar, dass sie wohl verhaftet worden waren. Den ganzen nächsten Tag haben sie in einer Zelle in Küstrin gesessen. Am übernächsten sind sie mit den beiden Gestapo-Männern erst im Zug nach Berlin, dann mit der U-Bahn ins Reichssicherheitshauptamt in der Prinz-Albrecht-Straße gefahren, wo Kommissar Habecker vollkommen außer sich geraten ist.
    »Kinder? Sind hier alle übergeschnappt? Was soll ich mit Kindern?«
    Also hat man sie wieder weggebracht. Der schöne schwarze Mercedes stand wieder unten im Hof, und Heidi und Uta mussten wieder einsteigen. Diesmal hat das Auto Heidi aber nicht getröstet. Heidi hat geweint. Uta nicht. Uta hat sich auf ihrem Sitz umgedreht und ihre Mutter durchs Rückfenster angesehen. Die Mutter ist auf dem Hof zurückgeblieben, in ihrer schwarzen Witwenkleidung. Uta hat ihre Mutter angesehen, bis der Wagen durchs Tor gefahren war und die Tore sich zwischen ihnen schlossen.
    »Ich kann das nicht mehr. Ich verkrafte das nicht.«
    Frau Dr. Westrick, Ärztin auf der Krankenstation des Gefängnisses Alt-Moabit und selbst Mutter von neun Kindern, hört ihrer Patientin mit Anteilnahme zu. Die Frau ist Kinderkrankenschwester. Sie hat offenbar einen Nervenzusammenbruch. Sie weint und schluchzt unaufhörlich.
    »Deutsche Kinder. Deutsche Kinder werden ihren Müttern entrissen. Und ich soll mittun. Ich soll diese Kinder den Müttern vorenthalten.«
    »Wohin hat man die Kinder denn gebracht?«
    »In ein Kinderheim. Nein, ich kann Ihnen nicht sagen, wo es ist. Das darf ich nicht. Das würde ich nicht wagen. Ach, dasElend und das Leid. Ich habe es ja verstanden, bei den Polen und den Zigeunern. Aber deutsche Kinder. Ich werde einfach nicht fertig damit. Die Schuld. Die furchtbare Schuld, die man auf sich lädt.«
    »Meine Nichte ist verschwunden.«
    Frau Dr. Westrick ist wie immer zur Frühmesse in das Kloster gekommen, in dem Claritas Tante als Ordensfrau des Herz-Jesu-Ordens lebt.
    »Meine Nichte ist in Haft genommen. Und man hat ihre Kinder verschleppt.«
    »Tatsächlich«, sagt Frau Dr. Westrick. »Wie heißt denn Ihre Nichte? Wie

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