Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wer wir sind

Wer wir sind

Titel: Wer wir sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Friedrich
Vom Netzwerk:
Sache wird sofort in Ordnung gebracht.«
    Der Oberstaatsanwalt verschwindet durch eine Tür. Eine Schreibmaschine klappert. Einen Moment später ist er wieder zurück.
    »Bitte schön. Damit dürfte die Sache ihre Ordnung haben.«
    Charlotte nimmt das Formular entgegen.
    vollstreckt
    Plötzensee. Das trostlose nördliche Berlin. Zerbombte Vorstädte, Bombentrichter, mit der S-Bahn kommt man noch bis zum Bahnhof Beusselstraße. Charlotte geht über die Brücke beim Westhafen, dann an der langen langen Zuchthausmauer entlang. Charlotte geht vor dem Tor auf und ab. Auf und ab.Das Tor öffnet sich. Jemand kommt heraus. Charlotte läuft, und der Mann hält ihr freundlich die Tür auf. Sie schlüpft hindurch. Das Tor schließt sich. Einen Moment später stürzt ihr der Wachtmeister entgegen, der Dienst an der Pforte hat.
    »Was wollen Sie? Wer sind Sie?«
    Sie sagt ihren Namen.
    Und damit ist es vorbei. Ihr Name, hier. Sein Name, hier, wo er gestorben ist. Die Tränen stürzen in Flutbächen herab. Sie sieht nichts mehr, nicht den alten Wachtmeister, nicht die Mauern, die um sie aufragen, die sich zu verengen scheinen, je näher sie dem Herbsthimmel kommen.
    »Aber Kindchen, Kindchen.«
    Der Wachtmeister hat ihren Arm genommen. Sie hört ihre eigene Stimme nicht. Sie hört nicht, was sie sagt: immer wieder dasselbe, dasselbe.
    dahin, wo mein Mann gestorben ist, wo mein Mann gestorben ist
    Der Pförtner von Plötzensee hält Charlotte in den Armen. Er wiegt sie ein wenig, er sagt es immer wieder.
    »Armes Kind, armes Kind.«
    Er nimmt sie an der Hand. Er führt sie. Sie gehen über den Hof, sie betreten ein Haus. Ein Eisengitter öffnet sich, schließt sich hinter ihnen. Sie gehen einen langen Flur entlang, durch eine Tür. Die Tür öffnet sich, schließt sich, dahinter ein weiterer Hof. Sträflinge. Sie gehen durch eine Tür, wieder in ein Haus. Gitter öffnen und schließen sich, Schlüssel klirren. Der Pförtner klopft an eine Tür. Er streckt seinen Kopf in die Tür, er sagt etwas. Ein Mann tritt aus dem Büro heraus.
    »Wo Ihr Mann – ? Nein, wirklich. Unmöglich. Wir werden Sie hinausbegleiten.«
    Sie gehen zurück. Sie gehen den ganzen langen Weg wieder zurück: Charlotte in der Mitte, neben ihr der Pförtner, der ihreHand hält, ein korrekter Beamter auf der anderen Seite. Dann öffnet sich das große Tor.
    »Bitte«, sagt Charlotte.
    »Bitte«, heult sie, »schicken Sie mich nicht wieder fort. Schicken Sie mich nicht hinaus.«
    Das Tor öffnet sich. Sie wird hindurchgeschoben. Dann schließt es sich hinter ihr. Charlotte lehnt sich dagegen.
    Lasst mich hinein! Mich und alle meine Kinder!
    Zwischen dem 14. August, als man ihn um halb sieben Uhr früh aus seiner Zelle im Gefängnisblock des KZ Ravensbrück geholt und in Handfesseln nach Drögen auf die Polizeistation geschleppt hat, und dem 19., an dem sein Status als Untersuchungsgefangener aufgehoben worden ist, ist Helmuth Moltke immer wieder verhört worden. Sie kamen früh um fünf, sie kamen in der Nacht. Sie fesselten ihn mit Julius Leber zusammen, mit Theo Haubach. Beunruhigend waren auch Freyas Briefe. Eine gewisse Verzagtheit war nicht zu überhören. Eine große Unruhe war deutlich.
    Am 18. August durfte er noch einmal zu seinem Rundgang hinaus ins Freie. Es war ein sehr schöner warmer Tag. Im Geist sah er die Erntewagen in Kreisau auf den Hof fahren. Am nächsten Tag hat man ihn als Sträfling eingekleidet, ihm alle seine Bücher und sein Schreibzeug genommen und ihn in eine lichtlose Zelle gesperrt.
    Nun sind ihm die letzten Mittel genommen, den eigenen Tiefen oder Sandbänken auszuweichen. Nun wird sich herausstellen, ob er auf Grund läuft, absäuft oder sich schwimmfähig erhalten kann. Es ist klar, dass man ihm den Prozess machen und ihn töten will.
    Darüber muss er also nicht nachdenken. Er denkt über frühernach, über theologische Fragen, über Probleme der Landwirtschaft. Er erhält nun nur noch die Häftlingsverpflegung, nicht mehr die der SS-Wachen, aber er hat zwei Tage gefastet und das Brot dieser Tage aufgehoben. So hat er festgestellt, dass das Zeug ganz essbar wird, wenn man es durchtrocknen lässt. Seit seiner ersten Vernehmung am 14. August hat er sich bemüht, so viele Bibelstellen wie möglich auswendig zu lernen, um für Kommendes gerüstet zu sein. Diese Stellen sagt er sich nun zweimal am Tag vor. Zu seiner Verwunderung entdeckt er immer wieder neue Aspekte an ihnen. Dazwischen rezitiert er Gedichte. Er betet. Er geht auf

Weitere Kostenlose Bücher