Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wer wir sind

Wer wir sind

Titel: Wer wir sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Friedrich
Vom Netzwerk:
Bernardis übernommen. Per Telefon hat er die Kampfverbände in den außerhalb des Stadtgebietes von Berlin gelegenen Teilen des Wehrkreises III alarmiert: die Panzertruppenschulen Krampnitz und Wünsdorf, die Panzerlehrgänge Groß-Glienicke, die Infanterieschule Döberitz, die Fahnenjunkerschule und die Unteroffiziersschule Potsdam. Dafür ist Robert Bernardis am 8. August 1944 in Plötzensee gehängt worden, einen Tag nach seinem sechsunddreißigsten Geburtstag, zusammen mit Peter Yorck, Klausing und all den anderen. Und Kortzfleisch wird am 20. April 1945 sterben, bei einem Fluchtversuch während seiner Gefangennahme durch amerikanische Truppen, in dessen Verlauf ihn ein amerikanischer Corporal erschießen wird.Freya ist für ein Wochenende nach Kreisau zurückgekehrt. Sie muss nach den Söhnchen sehen, sie muss Nahrungsmittel für Helmuth und die Poelchaus heranschaffen. Wie oft schon hat sie den Nachtzug nach Breslau genommen! Die Züge fahren aber nicht mehr zuverlässig. Sie weichen auf unerwartete Strecken aus. Freya hat sich durch das Geschiebe auf fremden Bahnhöfen gekämpft, sie hat stundenlang in Wartesälen gesessen, mit ihren Koffern im Gang gestanden. Als sie gegen Morgen zu Hause ankam, war sie wie zerschunden und todmüde. Und da lag Kreisau im ersten Sonnenlicht, sanft vertraut in den Farben des Herbstmorgens, der Zobten so zart und fern am Horizont und die ersten Töne von Gold und Rot farbenschlierig durch die Tränen.
    Liebster, ich bin zu Hause –
    Aber hier in Kreisau wird Freya eingefangen. Sie ist kaum angekommen, da wird sie schon von den Höhen Berlins herabgezogen auf die Kreisauer Erde.
    »Reyali, Reyali!«
    Casparchen stürmt seiner Mutter entgegen. Konrädchen zappelt auf dem Arm von Frau Pick, Helmuths Berliner Haushälterin. Ulla Oldenbourg ist da, Heilerin der Christlichen Wissenschaft und alte Freundin von Helmuths Mutter. Und Asta ist wieder schwanger. Das Marinkchen: Sie soll Ende April ein Kindchen bekommen.
    »Ich soll Erschütterungen vermeiden. Weil doch die letzte Geburt noch nicht lange her ist.«
    Das tote Kindchen. Der Beginn der Unglücksserie.
    »Geplant war es nicht, das kannst du dir denken. Aber so ist es eben. Wir wollten nicht, und schon ist es so.«
    Freya hält Asta lange umarmt. Sie nimmt das Konrädchen hoch, dann das Casparchen. Sie packt ihre Koffer aus und sieht die Post durch, während die Söhnchen sie umschwärmen: Reyali,Reyali , dann geht sie hinunter zum Gut und bespricht mit Zeumer, ob die Rübensamen gedroschen werden. Sie vergisst Helmuth nicht, natürlich nicht. Aber sie vergisst seinen Tod. Es ist, wie es immer war: Helmuth begleitet sie, lebend, aber abwesend. Freya gräbt im Gemüsegarten Kartoffeln aus, sie pflückt Äpfel für Helmuth und die Poelchaus. Dann, beim einsamen Gang über die Felder, kehrt Helmuths Tod mit Macht zu ihr zurück.
    Freya sitzt am Kapellenberg. Zu ihren Füßen liegt Kreisau: das Dorf, das Gut, das Schloss, das Berghaus auf der anderen Seite des Tals und dahinter ganz zart die blauen Hänge des Zobten und der Eule. Casparchen kuschelt auf ihrem Schoß. Die Luft ist still. Die Schönheit, die Pracht dieses satten Nachmittags ist mörderisch, kaum erträglich. Aber sie muss es ertragen. Sie darf die Augen nicht schließen, sie muss alles einsaugen, einatmen, trinken, für ihn. Von dort, wo sie sitzt, kann sie den kleinen Bahnhof sehen, auf dem sie einst hier angekommen ist. Aber nicht die Vergangenheit zählt, nicht die Zukunft: Gegenwart wird verlangt, Helmuths Gegenwart. Sie wird das tun: Sie wird ihn bei sich halten, ihn gegenwärtig halten unter allen Umständen. Aber wie?
    Im Schloss wohnt Tante Leno, die Schwester von Helmuths Vater, mit ihren fünf Enkeln. Ihr Sohn Hans Carl von Hülsen und seine Frau Editha sind bei dem großen Angriff in der Nacht vom 23. November letzten Jahres getötet worden, als ein mit Bomben gefülltes Flugzeug über dem Charlottenburger Schloss abstürzte und den Bunker durchschlug. Ihren Mann hat Tante Leno schon vor vielen Jahren verloren.
    »Natürlich denke ich noch an ihn. Aber es war ein anderes Leben, damals. Ich selbst war eine andere.«
    Sie vergisst ihn also. Sie hat ihn schon vergessen. Das Feuer ist erloschen, der Herd ist erkaltet, und Tante Leno und ihrMann sind für immer voneinander getrennt. Das ist fürchterlich, vollkommen unannehmbar. In Freya soll die Flamme weiterbrennen. Lichterloh lodern soll sie, für immer.
    Ulla Oldenbourg nickt.
    »Mein Mann begleitet mich

Weitere Kostenlose Bücher