Wer wir sind
Magda! Und die Kinder? Denk doch an die Kinder!
Natürlich denke ich an die Kinder. Du glaubst doch nicht, dass ich die Kinder zurücklassen würde? Ich meine natürlich, dass ich zusammen mit den Kindern aus dem Leben scheiden würde.
Und jetzt ist es so weit.
Denn natürlich wird nun alle Welt den Namen Goebbels mitSchmutz bewerfen. Aber Magda wird den Kindern Schande und Elend ersparen. Die Kinder sind vollkommen unschuldig. Die Kinder sind im Licht. Wenn sie jetzt sterben, im Stadium der Unschuld, wird ihnen ein besseres Leben zuteil. Der Tod ist ja nur ein dunkles Tor in das nächste Leben: So steht es bei den Buddhisten.
Ihr Vater hat ihr das einmal gezeigt. Ihr richtiger Vater, nicht der Jude Friedländer, der sie adoptiert und großgezogen hat. Ihr richtiger Vater hieß Ritschel. Magdas Mutter war ein Dienstmädchen. Ritschel war Ingenieur, aus großbürgerlichem Haus. Er hat die Mutter verlassen, als Magda zwei war. Als Magda fünf wurde, brachte der Zug sie zu ihrem Vater zurück. Sie glühte und zitterte vor Freude auf ihn. Der Vater holte sie am Bahnhof in Köln ab und brachte sie sofort in ein Kloster, in die Klosterschule.
Dich lass ich nicht in der kleinbürgerlichen Spießigkeit bei deiner Mutter verschimmeln. Du wirst für andere Kreise erzogen.
Dann ging der Vater fort. Mehr erinnert Magda nicht, aus jener Zeit. Aber als Magda siebzehn war, hat sie den Vater wiedergefunden. Der Vater war ein Anhänger des Buddhismus. Der Buddhismus gehörte nur ihnen beiden, dem Vater und seiner Tochter Magda. Den anderen war er zu fremd und mystisch. Magda gehört zu ihrem Vater, durch den Buddhismus. Es ist eine Frage der Treue. Magda ist treu. Sie hat diesen höchsten Vorzug: unbedingte Treue. Und jetzt, am Ende, hat ihn auch Jupp wieder.
Jetzt am Ende ist er wieder zu ihr zurückgekehrt. Jetzt sind sie wieder miteinander vereint, in der Absicht, im Handeln, wie sie es am Anfang waren, kein anderer Mann hat Magda ja jemals so geliebt wie Joseph Goebbels.
Kein anderer hat sie so begehrt, so gebraucht und vergöttert.Damals war er noch nicht an der Macht. Damals hat er nur sie geliebt. Keine Frau ist je so geliebt worden, wie Joseph Goebbels seine Magda geliebt hat. Sie hat sich ihm ganz hingegeben, seiner herrischen Leidenschaftlichkeit, seiner kindlichen Liebesbedürftigkeit. Sie hat ihn bemuttert, sie hat ihn bekocht, sie hat seine Manuskripte für ihn getippt und gemeinsam mit ihm musiziert. Sie hatte endlich eine Heimat gefunden: die Partei, Joseph Goebbels, den Führer, der nicht mehr lebt.
Magda kann nicht leben ohne Heimat. Sie kann nicht leben, ohne die Verpflichtungen ihrer Liebe zu erfüllen. Der Führer ist vorausgegangen, Magda wird folgen.
Magda und Jupp: Jetzt am Ende hört er wieder auf sie. Sie werden gemeinsam gehen. Und natürlich werden sie die Kinder mitnehmen. Sie werden die Kindlein nicht vater- und mutterlos zurücklassen. Sie werden sie nicht den Russen überlassen, die sie lebendig zerfetzen würden. Welche deutsche Mutter ließe ihre Kinder zurück? Wenn die Kinder jetzt sterben, werden sie wiederkehren, gereinigt, in einer neuen, unbelasteten Inkarnation.
So sagt es der Buddhismus, den Magda von ihrem Vater hat: Die Kinder werden als Engel den Schrecken der kommenden Wochen und Monate umgehen, sie werden das Entsetzliche überfliegen, und dann werden sie unter glückverheißenden Sternen in die neue Zeit hineingeboren werden, ohne den Makel ihres Nachnamens, ihrer Abkunft tragen zu müssen.
Nicht dass Magda in einer solchen Zeit leben wollte. Wer wie Magda sein Leben auf festen Grund gebaut hat, der fällt, wenn das Fundament zerbricht. Magda tut alles, was sie tut, aus Liebe. So war es immer. So ist sie: eine liebende Frau. Magda betritt das Zimmer der Kinder, in der Tiefe des Führerbunkers.Freyas kleiner Treck ist nach Michelsdorf gezogen, dann nach Friedland, über den Pass in Richtung Schömberg. Am fünften Tag haben sie Ober-Hohenelbe erreicht. Am siebten Tag sind sie angekommen. Drei Wochen haben sie weltabgeschnitten in ihrer Zuflucht in Pommerndorf verlebt. Nun hat es Freya nicht länger ausgehalten.
Freya ist auf dem Weg nach Kreisau. Sie muss nach ihrem Hof sehen. Die ersten dreißig Kilometer bis nach Trautenau ist sie mit dem Zug gefahren, dann ging es nicht mehr weiter. Freya ist also losgeradelt.
Sie muss ja nicht unbedingt heute ankommen. Sie fährt in die richtige Richtung, sie wird sehen, wie weit ihre Kraft reicht. Bis jetzt ist die Fahrt hoch
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