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Wer wir sind

Wer wir sind

Titel: Wer wir sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Friedrich
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Ahnung, wo Dohnanyi jetzt ist. Das Reich stürzt, der tönerne Koloss. Das Reich zerfällt. Die Gewalt lockert den Griff nicht. Aber was sie umklammert, beginnt zu zerbröseln.
    Lutz Heuss hat Emmi Bonhoeffer versprochen, heute ihren Mann zu holen.
    Klaus lebt. Am 18. April hat er noch gelebt, da hat ihn Emmi besucht. Emmi hat das Häuschen in Eichkamp für seine Rückkehr geputzt und geschmückt, so gut es unter den Umständen möglich ist.
    Sie hat die Beete für die Frühjahrspflanzung vorbereitet. Sie ist dabei, Erbsen zu legen, als der Alarm losgeht. Aber es ist ja beinahe immer Alarm. Emmi wird sicher noch ihre Erbsen heil unter die Erde bringen, bevor es losgeht? Sie rennt in den Keller, als die Flak zu schießen beginnt. Einen Moment später erlischt das Licht. Schweres kracht über ihr zu Boden. Glas prasselt, Kalkstaub füllt die Luft. Der Keller wankt, die Erde bebt. Explosion folgt auf Explosion. Lauter, lauter, lauter. Über den Detonationen das infernalische Pfeifen fallender Bomben. Mit einmal scheint die Luft zu vibrieren. Eine Deckenstütze kommt Emmi entgegen, die Decke hängt durch, die Luftschutztür ist aus den Angeln gerissen. Die Treppe dahinter ist unpassierbar, der Treppenschacht mit Trümmern gefüllt. Emmis Hände und Füße sind taub. Dann stürzen Teile der Decke ein. Etwas klickt, verschiebt sich. Mit einmal ist Emmi irgendwo hoch oben, allein auf einsamer Zinne. Der Wind bläst kalt. Die Welt um sie ist leer und vollkommen still. Emmi muss nun nur noch reglos hier verharren. Sie muss taub und stumm werden und den Atem anhalten, auf unbestimmte Zeit,dies ist der äußerste Rand. Weiter geht es nicht. Und wird sie in diesem Keller bleiben?
    Wird sie hier sterben, an dem Tag, an dem ihr Mann nach Hause kommt?
    Emmi wühlt im Schutt. Sie wirft Trümmer beseite. Sie kriecht ein paar Stufen hinauf, sie zerrt an einem Balken, ihre Augen tränen. Ihre Hand ist aufgeschnitten. Das Haus brennt: Offenbar ist eine Gasleitung getroffen. Zwischen zwei Balken hindurch kriecht sie ins Freie.
    Es ist mitten am Tag, aber beinahe dunkel. Emmi rennt durch Qualm und Schuttnebel über die Straße zu den Nachbarn, wo die Organisation Todt einen Splittergraben angelegt hat. Dort hockt sie nun mit den Nachbarn. Die dicke Meyer kreischt auf, als es wieder in der Nähe kracht. Emmi möchte ihr eine knallen. Ihr Bruder ist ein Nazi der allerersten Stunde. Soll sie doch dem in die Ohren kreischen. Der alte Peters verteilt nasse Tücher, die sie vor Mund und Nase halten, dann endlich ist der Angriff vorbei. Sie taumeln ins Freie. Emmi schlägt sich durch die brennende Stadt zu ihren Schwiegereltern durch. Klaus ist nicht gekommen.
    Aber am nächsten Tag kehrt Justus zurück. Der geliebte Bruder: Er ist zusammen mit Eberhard Bethge aus der Lehrter Straße entlassen worden. Nun sitzen sie alle zusammen im Schleicherschen Keller, siebzehn Leute unter Dauerbeschuss. Sie beklagen gemeinsam die kleineren Unannehmlichkeiten: Das Scheicher-Haus hat einen Treffer bekommen. Das Bonhoeffer-Haus haben vierzig Russen in einer einzigen Nacht versaut. Sie schieben sich ein Kissen unter den Hintern, sie lehnen sich an jemandes Schulter, sie versuchen die Anspannung zu ignorieren: Das Leben wird von Stunde zu Stunde gelebt. Hitler soll sich erschossen haben. Im allgemeinen Tohuwabohuist ein Topf Sirup umgekippt, alles klebt, und es gibt kein Wasser. Emmi rollt sich zum Schlafen im Heizungskeller der Bonhoeffers zusammen.
    Magda Goebbels umarmt ihre sechs Kinder. Dies ist das Ende. Dies ist das Letzte, was sie in Liebe und Treue tun kann. Magda muss nun sterben. Welche Schrecken hält der Tod? Magda stirbt ja nicht für sich. Sie tut es für ihre Kinder. War sie nicht schon in den furchtbaren Jahren bereit zu sterben, für Jupp zu sterben, in den schrecklichen Zeiten der Demütigung, als Jupp sie wieder und wieder belog?
    Ich habe die Baarova nicht gesehen und auch keine andere! Ich schwöre es dir.
    Wobei denn? Wobei willst du denn schon schwören!
    Beim Leben der Kinder.
    Er ging zur Kommode. Er ergriff das Bild Helgas, seiner Lieblingstochter.
    Ich schwöre beim Leben meiner Kinder, dass ich schon lange keine Beziehung mehr zur Baarova unterhalte.
    Und dann saß die Frau mit ihm in der Loge, im Kabarett der Komiker. Magda lag weinend auf dem Sofa bei Ello, ihrer besten Freundin.
    Ich kann nicht mehr. Ich weiß keinen Ausweg. Am besten wäre es, ich nähme mir das Leben, dann ist er frei, dann kann er leben, wie er will.
    Aber

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