Wer wir sind
Tode verurteilt worden.
Landesverrat hat immer und zu allen Zeiten als das schimpflichste Verbrechen gegolten. Auch von der Gruppe des 20. Juli ist in umfassendem Maße Landesverrat und Spionage betrieben worden. Die Militäropposition hat ein ungeheures Maß von Schuld auf sich geladen. Andere deutsche Männer, die als Soldaten und in Verwaltung und Wirtschaft ihre Pflicht taten, würden es sicher mit Entrüstung abgelehnt haben, mit Männern wie Beck, Canaris, Oster, v. Dohnanyi auf die gleiche Stufe gestellt zu werden. Bei der Geheimen Staatspolizei handelte es sich um eine absolut normale Polizeiorganisation. Dagegen besteht die Mehrzahl der hier aufgetretenen Zeugen aus Menschen, die sich in einen maßlosen Hass gegen den nationalsozialistischen Staat hineingesteigert haben.
Der ›Stern‹ wird Roeder Gelegenheit geben, in einer vielteiligen Serie die Toten der Roten Kapelle zu verunglimpfen. Höhne wird im ›Spiegel‹ ohne Quellenkritik oder Quellenangabe aus den Verhören in der Prinz-Albrecht-Straße zitieren, als stellten die Gestapo-Protokolle die Männer und Frauen um Harro Schulze-Boysen und Arvid Harnack objektiv dar. Und Manfred Roeder wird als Mitglied der CDU stellvertretender Bürgermeister seiner Taunus-Gemeinde Glashütten werden.
Auch Fabian von Schlabrendorf, von 1967 bis 1975 Richter am Bundesverfassungsgericht, wird den Prozess gegen die Kapelle als rechtsstaatlich einwandfrei beurteilen. Er wird an der Verurteilung von Hilde Coppi, Eva-Maria Buch, Maria Terwiel oder Liane Berkowitz nichts Anstößiges finden können: Er vermisst an diesen Leuten das christlich-moralische Element. Vielleicht wird das ein wenig damit zu tun haben, dasszu seiner Kanzleigemeinschaft auch der ehemalige Präsident des 2. Senats des Reichskriegsgerichts Dr. Alexander Kraell gehört, Vorsitzender Richter im Prozess gegen die Rote Kapelle?
1956 bestätigt der Bundesgerichtshof die Urteile gegen Dohnanyi, Dietrich Bonhoeffer und Oster: Auch der NS-Staat hat ein Recht auf Selbstbehauptung besessen. Walter Huppenkothen wird nach Teilverbüßung einer kurzen Gefängnisstrafe durch Vermittlung des FDP-Abgeordneten und ehemaligen SD-Mannes Ernst Achenbach eine Tätigkeit als Wirtschaftsjurist antreten. Achenbach und Werner Best, der erst in einer Essener Rechtsanwaltskanzlei beschäftigt ist und ab 1953 als Rechtsberater des Stinnes-Konzerns in Mülheim an der Ruhr fungiert, werden dem ehemaligen SS-Brigadeführer und Vorgesetzten Eichmanns Franz Alfred Six die Möglichkeit vermitteln, Mitinhaber des C.W. Leske-Verlages in Darmstadt zu werden, wo unter anderen Rudolf Augstein publizieren wird, ebenso der ›Spiegel‹-Ressortchef Horst Mahnke, vor 1945 Alfred Six’ Assistent, und so geht es weiter und weiter, während die DDR jahrzehntelang die üblichen Phrasen ausspuckt.
Opfermut der Helden im antifaschistischen Widerstand gegen den deutschen Imperialismus chauvinistische Kreise des Finanzkapitals Klassenkampf zwischen der Arbeiterklasse und der Monopolbourgeoisie rechnete die Schulze-Boysen-Harnack-Organisation in Flugschriften mit den volksfeindlichen Plänen jener rechten Oppositionellen ab, die zur Verschwörung des 20. Juli gehörten, ein Beispiel dafür, wie es der KPD gelungen ist, ihre Volksfrontpolitik zu verwirklichen, Kämpfer blieben bei allen Qualen und Folterungen ihrer Liebe zur Sowjetunion als Heimat des Sozialismus treu –
Nicht dass Christel das alles wüsste.
Sie weiß aber, es gibt keine Gerechtigkeit, auch jetzt nicht, auch nach dem Krieg nicht, es wird niemals Gerechtigkeit geben,und das Wissen ermordet ihr ihren Mann jeden Tag aufs Neue.
Verliere nicht den Glauben an die Gerechtigkeit!
Das hat sie Hans hundertmal geschrieben. Das war der Fehler. Hätte man doch auf diesen Glauben verzichtet. Christel ertrinkt in Bitterkeit und Kummer.
Sie ertrinkt in der Stille.
Sie weiß nicht, wohin mit sich, in der leeren Stille nach diesen langen wilden furchtbaren Jahren. Ihre Kinder finden sich hervorragend zurecht in der neuen Zeit. Christel hat das Gefühl, dass sie stört. Sie empfindet, dass sie ihre Kinder bedrückt. Christel ist ein Gummiband, das lange straff zwischen zwei Stühle gespannt war. Nun hat man die Stühle weggetragen. Der Durchgang ist frei, das Zimmer leer, und das Band liegt ausgeleiert am Boden. Christel wünschte, sie wäre an Hans’ Stelle. Zu wissen, wofür man stirbt, ist doch eine sehr viel klarere Aufgabe, als nicht zu wissen, wofür man in verworrenen Zeiten lebt.
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