Wer wir sind
mit der bündischen Jugend kämpfend einbezogen werden können in die Wiederherstellung der Souveränität der Nation.
»Wer war das?«, sagt Emmi Bonhoeffer, geborene Delbrück, die auf einen Sprung von ihrer Wohnung im Haus ihrer Schwiegereltern in der Wangenheimstraße zu ihrer Mutter herübergekommen ist und Harro gerade noch von hinten gesehen hat.
»Ein Bekannter deines Bruders«, sagt Lina Delbrück. »Ein Großneffe von Tirpitz. Was hätte dein Vater dazu gesagt.«
Harro hat Ernst von Salomon kennengelernt, ehemals Mitglied der Terrororganisation Consul. Harro erzählt ihm, dass Kapitän Ehrhardt ein Freund seines Vaters ist. Er erklärt Salomon, dass Tirpitz sein Großonkel ist: Aber was ist all das gegen die Organisation Consul? Salomon war in das Attentat auf Rathenau verwickelt, er hat in Festungshaft gesessen, und jetzt ist er Schriftsteller, Lektor bei Rowohlt. Harro ist hingerissen. Das ist perfekt: ein schreibender Revolutionär. Harro trifft den Nationalbolschewisten Ernst Niekisch. Er befreundet sich mit Karl Otto Paetel, Gründer der Gruppe Sozialrevolutionärer Nationalisten und Chefredakteur von Ernst Jüngers bündischrevolutionärer Zeitschrift ›Die Kommenden‹, er pflegt engen Umgang mit den abtrünnigen NSDAPlern von Otto Strassers Schwarzer Front. Man steht
zur Nation als letztem politischen Wert, zu Volk und Sozialismus, gegen das Bürgertum, gegen Republik und Demokratie, gegen den Westen, der mit der Phrase der Freiheit auf Betrug ausgeht, für Aufgabe der Weltwirtschaftshypothese, für Planwirtschaft, wirtschaftliche Autarkie, einen autoritären Staat und Verzicht auf Kino und Ballsaal.
Gegen den Ballsaal? Da allerdings macht Harro nicht mit.Harro freundet sich mit dem Herausgeber der ›Tat‹ an, Hans Zehrer. Die Auflage der ›Tat‹ ist doppelt so hoch wie die der ›Weltbühne‹, in der Carl von Ossietzky mitteilt, neben Otto Strasser und Ernst Jünger repräsentiere der ›Tat‹ - Kreis am deutlichsten die Verwirrung liberalistischer Bürger, die sich vor dem drohenden ökonomischen Weltuntergang ekstatisch dem Rechtsradikalismus in die Arme würfen. Harro ist ganz auf Zehrers Seite. Zehrer ist ein kluger Kopf. Ein großer Mensch. Harro schwingt Reden,
Wir brauchen Aufbruch und Bewegung. Wir brauchen eine Bundesgenossenschaft der besten Kräfte aus allen Lagern. Zucht, Verantwortung, Vertrauen. Wir müssen zu einer neuen Art vorbildhaften Lebens gelangen.
Harro sammelt Menschen um sich. Er steht im Mittelpunkt. Er ist ein Führer der Menschen, in dieser wilden wirren Zeit, in der alle jung und besitzlos zu sein scheinen, in der alle auf den Straßen sind und durcheinanderschreien,
Wir fordern die freie deutsche Nation, die Befreiung der werktätigen Massen Deutschlands von Ausbeutung und Unterdrückung, den Sieg der Arbeiterschaft über die Schmarotzer aller Rassen und Bekenntnisse. Gegen die Amis! Gegen die Russen! Gegen die Macht transnationaler Konzerne, gegen die Interessenvertreter des Kapitals!
In der Unzahl der Bünde und Orden sind Doppelmitgliedschaften durchaus üblich. Jeder Charismatiker zieht sein Träublein Jünger hinter sich her, in einer Wolke aus Jungmännlichkeitsdunst, Schiller-Zitaten und Militärmusik,
Student sein, wenn dein einzig Sorgen,
Ob fest und tapfer du wirst steh’n:
An deines Leben Wagemorgen –
Harro hat Bekanntschaften zu Mitarbeitern der französischen Zeitschrift ›Plans‹ geknüpft.
Und warum nicht? Artur Mahraun vom Jungdo spricht sich schließlich durchaus für die Verständigung mit Frankreich und ein französisch-deutsches Wirtschaftsbündnis aus. Harro lernt Franz Jung kennen, den Expressionisten und Dadaisten, Kämpfer auf Seiten der Spartakisten, in die KPD eingetreten und wieder rausgeflogen, mehrfach inhaftiert, von den Niederlanden in die Sowjetunion ausgewiesen, heimlich mit falschem Namen zurückgekehrt, dramaturgischer Mitarbeiter bei Piscator, Stückeschreiber, nun Herausgeber der Zeitschrift ›DER GEGNER‹, für die auch Harro zu schreiben beginnt. Harro schreibt nach Hause,
liebe mama, lieber papa,
die franzoesische zeitschrift › PLANS‹ und der berliner › GEGNER‹ sind natürlich linksstehende blaetter. Ich glaube es mit meiner ueberzeugung vereinbaren zu können, in ihnen zu schreiben. Ich glaube, dass unsere regierung, soweit sie ueberhaupt noch chancen hat, von jeder radikalen opposition profitieren kann.
Wenig später gehört der ›GEGNER‹ ihm allein. Die zur Gewerkschaft gehörenden
Weitere Kostenlose Bücher