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Wer wir sind

Wer wir sind

Titel: Wer wir sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Friedrich
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Eichen,
    Alter Zeiten alte treue Zeugen,
    Schmückt euch doch des Lebens frisches Grün,
    Und der Vorwelt kräftige Gestalten
    Sind uns noch in eurer Pracht erhalten.
    Libs ist voller Sehnsucht. Sie könnte nicht sagen, wonach sie sich sehnt. Es wäre so schön, einen Sinn im Leben zu finden, eine Aufgabe.
    Es wäre schön, Teil eines engen verschworenen Bundes zu sein, so wie damals in der Schweiz bei den Pfadfindern. Es wäre schön, zu Hause zu sein, irgendwo fraglos dazuzugehören. Libs singt zu ihrem Akkordeon,
    Abend wird’s, des Tages Stimmen schweigen,
    Röter strahlt der Sonne Glühn.
    Und hier sitz ich unter euren Zweigen,
    Und das Herz ist mir so voll, so kühn!
    Vielleicht findet Libs ja in der Nationalsozialistischen Partei, was ihr fehlt.
    Sie ist gerade erst eingetreten. Sie hat während des Fackelzugs am 30. Januar 1933 in der jubelnden Menge gestanden, tief berührt, aufgewühlt, ergriffen, berauscht von der Aufbruchsstimmung, der Bewegung, der Verbundenheit eines ganzen Volkes, einer ganzen jungen Generation. Ihrer eigenen Generation. Wahres Glück, wahre Erfülltheit des Lebens gibt es doch nur, wenn man das Leben mit anderen teilt. Die Familie hat Libs’ Eintritt in die Partei natürlich befürwortet. Endlich einmal hat Onkel Büdi einen Entschluss seiner Nichte ohneVorbehalt gelobt. Der Onkel ist schon seit 1931 Parteigenosse, und im Laufe der letzten beiden Jahre sind ihm die meisten Verwandten gefolgt.
    Libs ist auf dem Weg zurück zum Schloss. Sie reitet. Sie ist zwanzig Jahre alt. Sie sehnt sich nach dem Beginn ihres richtigen Lebens. Dies alles ist doch nur ein Vorgeplänkel, eine Ouvertüre. Ihr eigentliches Leben wird außergewöhnlich sein, so viel steht fest. Es wird voll Kampf und Geist und Rausch und Tiefe sein. Voll Leidenschaft. Libertas wird leidenschaftlich lieben. Und sie hofft, dass man sie lieben wird. Sie hofft, dass sie unzerreißbare Bande knüpfen wird. Dass sie ganz fest verankert sein wird in der Familie, im Kreis der Freunde, ganz fest eingebunden in die Volksgemeinschaft.
    Und dann kommt Harro.
    Im Sommer 34 segelt Libertas mit Freunden auf dem Wannsee, und Harro hält genau auf sie zu. Harro Schulze, der braungebrannte blonde Pirat in seinem kleinen Boot: Er winkt, er ruft etwas, das sie nicht versteht. Sie ruft zurück. Ruft absichtlich unverständlich, eine übermütige Aneinanderreihung von Vokalen,
    Juhujuiuiuiuuuhu!
    Sie sieht seine Zähne blitzen. Später an Land, als sie angelegt haben, setzt Harro sich neben sie auf den Bootssteg. Inzwischen ist er fast fünfundzwanzig. Er ist, wie man so sagt, erwachsen geworden,
    Kamerad, reich’ mir die Hände,
    Fest wollen zusammen wir stehn.
    Man mag uns auch bekämpfen,
    Der Geist soll niemals verwehn!
    Und seit wann interessiert sich Harro für Mädchen?Harro Schulze, Großneffe von Admiral Tirpitz, Sohn des Korvettenkapitäns Schulze: Er ist Kamerad durch und durch. Partnerinnen benötigt er nur beim Tanzen. In der Wirklichkeit geht es um andere Dinge. Das Wirkliche ist die Zukunft Deutschlands. Das Wirkliche ist die Politik, die Welt der Bünde, die Welt der Männer, 1925 ist der fünfzehnjährige Harro in eine Jugendgruppe des Jungdeutschen Ordens eingetreten.
    Der Jungdo ist nicht etwa eine Partei. Er ist kein Debattierkränzchen: Ihm gehören ja sogar Mitglieder der Organisation Consul an, der Jungdo ist eine völkisch-nationale Gemeinschaft aus Bruderschaften, verpflichtet der Kameradschaftlichkeit der Frontsoldaten und dem Ideal mittelalterlicher Ordensritter, geführt von einer Elite der Besten, an deren Spitze Hochmeister Mahraun steht.
    Was nottut, sind nationale Autarkie und eine neue Elite. Was nottut, ist eine grundsätzliche Erneuerung des Vaterlands, anknüpfend an das Deutschland des Mittelalters: Aber das heißt nicht, dass man im Jungdo rückwärtsgewandte Konzepte duldet, ganz sicher nicht.
    Es führt kein Weg zurück in die bürgerliche Innerlichkeit und die protestantische Gewissenskultur. Es führt kein Weg zurück ins Wilhelminische Deutschland. Das Zeitalter mag nicht viel taugen, das ist wahr, andererseits liegt man, wie man sich bettet. Wenn man nicht leben kann, wie man will, dann muss man eben leben wollen, wie man kann. Da gibt es nichts zu jammern und zu klagen. Die expressionistische Heulerei ist lächerlich und spießig. Das Freiheraussagen, das Bekennen, der Schrei aus der Tiefe, das schrankenlos Echte, der Dreck unter dem Fingernagel und der Mundgeruch der Emotion, die dem Gegenüber

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