Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wer wir sind

Wer wir sind

Titel: Wer wir sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Friedrich
Vom Netzwerk:
Leuchtenburgkreises. Harro trifft dort auch Klaus Mehnert, der der Arplan angehört und Otto Strasser mit seinem Auto zu dem Treffen gefahren hat.
    Mehnert hat sich einmal bei einer Versammlung der Schwarzen Front zum Thema Sowjetunion zu Wort gemeldet. Hinterher sind er und Strasser einen trinken gegangen, und sie habensich prima verstanden. Seitdem sind sie Freunde. Auch Harro und Klaus Mehnert verständigen sich sofort.
    »Die Kameraden in der SA und bei Rotfront, in der Bündischen Jugend, in der Schwarzen Front, im Reichsbanner oder im Stahlhelm ringen doch alle um das eine, um einen Weg aus der deutschen Not«, sagt Klaus Mehnert. »Wir ringen in Versammlungen, auf Übungsmärschen, in nächtlichen Zwiegesprächen im tiefsten Herzen alle um das Gleiche, und dann schlagen wir uns um Nuancen der Formulierungen willen gegenseitig den Schädel ein.«
    Harro stimmt von Herzen zu. Alle stimmen Klaus Mehnert zu. Harro ist beeindruckt: Hier ist ein Mann, der in Moskau geboren worden ist und fließend Russisch spricht.
    »Aus den Phasen des russischen Kampfes können wir für uns nichts lernen«, sagt Klaus Mehnert. »Lernen können wir aber von den Bolschewiken, ein Ziel im Auge zu haben. Auch wir haben ein Ziel, ein freies Deutschland, frei nach außen und innen. Auch wir befinden uns in einer einmaligen Situation, in der sich vorher kein Volk befand. Wir suchen nach einer neuen Einstellung zur persönlichen Freiheit, zur Rolle des Eigentums, in den Arbeitslagern, den Kampfverbänden, der Siedlungsbewegung. Es gilt, die einzelnen Bäche zu einem gewaltigen Strom zusammenzufassen.«
    Und das kann nur die Jugend leisten.
    Die Politiker in den Parteien sind ja ganz offensichtlich zu beschäftigt, um sich neben der Tagespolitik mit der notwendigen grundsätzlichen Neubesinnung zu beschäftigen. Aber der Jugend geht es nicht um Tagespolitik. Ihr geht es nicht um Vorstandsposten oder um eine aussichtsreiche Stelle auf der Wahlliste, sondern um das Wesen, die innere Haltung, um Wahrhaftigkeit und innere Freiheit, es geht darum, einen Standpunkt zu erringen.
    Es geht um Rausch, um Kampf, um Verbundenheit. Es geht gegen die Entseelung der amerikanisierten Kultur, gegen die Vermassung, gegen den internationalen Kapitalismus, für den deutschen Menschen, den neuen Menschen. Harro ist durch und durch frohgemut. Ihm geht es gut, er ist frisch und gesund und tatenfroh. Er ist jung. Er wird sein Leben leben, kämpfend und fröhlich, und zwar auch nach dem 30. Januar 1933.
    Es schreckt ihn mitnichten, dass Hitler die Macht übernommen hat. Die alte verbrauchte Liberalenfront hat nun wenigstens abgewirtschaftet. Das ist ein Gewinn. Die wahre sozialistische Diktatur wird kommen. Die Revolution wird sich weiter radikalisieren: Und freilich darf sie der bürgerlichen Reaktion dann nicht länger das freie Wort gestatten. Ein autoritärer Staat ist durchaus gerechtfertigt, wenn es um die Durchsetzung der wahren Revolution geht.
    Harro selbst wird aber weiterhin Einfluss nehmen. Er wird weiterhin die Ereignisse kritisch begleiten. Er wird den ›gegner‹ vielleicht umbenennen müssen: Der Name könnte störend wirken, im Nationalsozialismus. Aber Harro selbst wird das Hitler-Reich von innen erobern, es geistig durchdringen und unterwandern. Er wird die Einigung der deutschen Jugend weiter vorantreiben, er wird sich seine Zukunft nicht stehlen lassen. Hitlers Sieg ist nicht das Ende.
    Am Ende ist doch alles noch einmal gutgegangen. Harro ist in Sicherheit. Es war richtig, dass Marie Louise Schulze sofort nach dem Anruf von Duisburg losgefahren ist, ohne auch nur einen Koffer zu packen, ohne noch ihren Mann zu verständigen.
    Es war richtig, dass sie dies allein getan hat. Ein Mann an ihrer Seite hätte mehr verdorben, als er ihr hätte helfen können. Harros Mutter ist allein bei von Levetzow gewesen. BeimPolizeipräsidenten von Berlin: Er hat erst gezögert, sich gegen die SA zu stellen. Aber dann hat er ihr doch zwei Polizisten mitgegeben. Er hat ihr zugesagt, Harro freizulassen, wenn sie ihn finden kann.
    Marie Louise Schulze ist von Folterkeller zu Folterkeller gefahren, von einem wilden KZ zum anderen. Die KZs sind überall, in der ganzen Stadt, in Kneipen, Kegelhallen, Tanzsälen, Kellern, in Scheunen und auf Dachböden. Im Fürstenbrunner Weg hat sie ihn schließlich gefunden, im Keller des Hilfskommandos Henze. Sie darf jetzt nicht daran denken. Sie darf nicht an die Stunde denken, die sie dort auf der Straße verbracht hat, vor dem

Weitere Kostenlose Bücher