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Wer wir sind

Wer wir sind

Titel: Wer wir sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Friedrich
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und druckt Artikel der Zeitschrift im ›gegner‹. Man muss paneuropäisch denken. Die Jugend Europas, die jungrevolutionären Kräfte müssen gemeinsam Liberalismus, Kapitalismus und die veralteten nationalistischen Verkrustungen überwinden. Der ›gegner‹ polemisiert nun scharf gegen Niekisch und die nationalrevolutionäre Bewegung. Notwendig ist eine Bundesgenossenschaft des Ordensmannes mit dem proletarischen Klassenkämpfer. Ahnen der Bewegung sind die Bettelmönche und die Geusen, die Puritaner und Jakobiner,
    Gegner in allen Lagern, vereinigt euch!
    Die Eltern sind außer sich. Was soll aus dem Jungen werden? Er hat sein Studium abgebrochen. Glaubt er, auf jeden bürgerlichen Unterbau verzichten zu können? Und wovon zum Teufel redet er überhaupt?
    Wie willst Du je Volksführer werden, wenn Du so schwierig bist und so stark eigene Wege gehst und im ›gegner‹ so ausgefallene Themen stehen? Selbst wenn Du ein Genie bist, wie willst Du andere überzeugen?
    Das schreibt die Mutter. Sie kriegt und kriegt es einfach nicht über, sich immer wieder eine blutige Nase zu holen.
    Genie?, antwortet ihr Sohn. Darum geht es nun wirklich nicht. Aber jeder hört doch in sich die stimme gottes, oder meinetwegen die stimme seines gewissens, seines müssens oder wollens, es bleibt sich gleich. Wenn du wüßtest, mit welcher grandezza man bereit sein kann, die chance, alles zu wagen, einzutauschen gegen das risiko, nichts zu werden.
    Die Mutter ist gerührt. Die Stimme Gottes. So also steht es. Liebend und besorgt nennt sie ihren Sohn einen wahren Idealisten, zu gut für die Welt, Harro verdreht die Augen. Die Frau weiß wirklich nicht, worum es geht. Aber er wird es ihr erklären,
    Es geht um die Freude am Leben, am Körper, am Vitalen. Um den Sozialismus. Um Nietzsche, Klages, um die Abkehr von der mechanistischen Zivilisation des liberalen Kapitalimus. Das ist Leben und Arterfüllung, Licht, Sonne, Freiheit, Seele. Sich dafür einzusetzen: Das heißt Idealismus.
    Zugeklebt den Brief und auf die Post damit, zusammen mit dem Wäschesack. Und dann zum monatlichen Treffen des ›gegner‹-Kreises im Café Adler am Dönhoffplatz, wo sich am Nebentisch die ›Weltbühne‹-Autoren mit ihren Lesern treffen, Harros Gefolgschaft wächst. Immer mehr Leute stoßen zu den ›gegnern‹ . Dies ist der Kern einer neuen Bewegung. Der Kern eines neuen Gemeinwesens, eines neuen Staates formiert sich um Harro,
    Kämpferische, wertvolle Menschen gibt es in allen Lagern. Es kommt immer nur auf Charakter und inneren Wert an. Der aber offenbart sich am besten in einem überschaubaren Kreis von Menschen, die sich zum Dienst am Ganzen zusammenfinden. Ein wahrer demokratischer Staat würde sich ohne Parteien, allein aus den überschaubaren Räumen der Nachbarschaften und Wohnquartiere aufbauen.
    Das schreibt er.
    Mit beschwingtem Herzen schreibt er von der niederdrückenden Tragödie der Gesamtbourgeoisie, die nicht mehr imstande ist, die geistigen Werte der Zeit zu fassen. In bester Stimmung beschwört er den wahrscheinlichen Sieg der Nazis herauf, den Wahlerfolg des vor Ressentiment schäumenden Kleinbürgers, in dem der Demokratismus sich zu seinem eigenenSelbstmord anschickt: Und dann wird es zum Bürgerkrieg kommen. Dann wird es zum Massenaufstand kommen, zum Generalstreik, und dann ist sie da, die Revolution. Warum schreibt er nicht über den Terror der SA?
    Warum kein Wort über den Altonaer Blutsonntag 1932, warum nichts über die Solidarisierung Hitlers mit den Mördern von Potempa, wo ein junger Arbeiter in seiner Wohnung vor den Augen seiner Mutter erschlagen wurde?
    Aber das ist ja schon längst wieder Schnee von gestern. Harro interessiert sich nicht dafür. Er ist weiter, er überspringt die Gegenwart. Er ist nicht Teil seiner eigenen maroden Epoche: Er gehört schon der Zukunft an, ein Mensch von morgen,
    Die Parole von gestern hieß: Mehrheit! Morgen wird es heißen: Minderheit. Die Losung von gestern: Masse. Die von morgen: Der Orden.
    Harro schreibt nach Hause,
    Ich brauche an miete und telefon ca. 45.-, essen 50,-, stadtbahnkarte 5,-, zusammen also etwa 100,-, ich hoffe aber, bis zum 1. Juli wieder in den besitz von etwas geld zu kommen, also wieder nicht mehr als 60.- von euch zu benötigen.
    Im Herbst 1932 nimmt er am dritten Reichskongress von Otto Strassers Schwarzer Front auf der Leuchtenburg teil. Leute des ›Tat‹-Kreises sind vertreten, Mitglieder der Freischar, Gäste vom Bund der Köngener und Mitglieder des

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