Wer zuletzt lacht, küsst am besten: Roman (German Edition)
derer, die es nicht geschafft hatten. Er konnte der Jungs des Alpha Platoon SEAL Team One gedenken. Ihre frischen Gesichter hatten sich mit den Jahren durch die Dinge, die sie gesehen und getan hatten, verändert. Er selbst war bei der Marine erwachsen geworden. Zu einem Mann herangereift, und auch ihn hatten die Dinge verändert, die er gesehen und getan hatte.
Doch heute Abend hatte er andere Dinge im Kopf. Dinge, die nichts mit der Vergangenheit zu tun hatten. Je länger er darüber nachdachte, Luraleen das Gas and Go abzukaufen, desto besser gefiel ihm die Idee. Er könnte es kaufen, es auf Vordermann bringen und innerhalb eines Jahres wieder verkaufen. Oder der neue John Jackson werden, der Besitzer und Begründer von etwa hundertfünfzig Tankstellen-Shops im gesamten Nordwesten.
Klar, er hatte keinen blassen Dunst von Tankstellen-Shops, aber allzu viel hatte John auch nicht darüber gewusst. Der Mann war Chevron-Händler in einer Kleinstadt in Idaho gewesen und inzwischen Millionen wert. Nicht dass Vince Multimillionär werden wollte. Er war einfach nicht der Typ für Anzug und Krawatte. Er hatte nicht das Temperament für die Vorstandsetage. Er kannte sich selbst gut genug, um zu wissen, dass er nicht besonders diplomatisch war. Er kam lieber schnell zur Sache, wenn etwas zu regeln war. Trat viel lieber eine Tür ein, als sich durch gutes Zureden Zutritt zu verschaffen, aber er war jetzt sechsunddreißig und sein Körper ziemlich verschlissen von zu vielen Jahren, in denen er Türen eingetreten hatte, aus Flugzeugen gesprungen war, gegen Wellen angekämpft hatte wie ein Zureiter von Wildpferden und sein Schlauchboot Strände hochgezerrt hatte.
Er lief unter dem Lichtschein einer schwachen Straßenlaterne hindurch und wandte sich gen Norden. Er hatte es durch die BUD/S-Höllenwoche geschafft und zehn Jahre im SEAL Team One vom Stützpunkt Coronado aus gedient. Er hatte rund um die Welt Einsätze absolviert und war dann nach Seattle gezogen, um bei der Erziehung seines Neffen mitzuhelfen. Eine Aufgabe, bei der manchmal die Sehnsucht nach den Tagen unerbittlicher Sandstürme, fauliger Sümpfe und zähneklappernder Kälte in ihm aufgekeimt war. Einen kleinen Tankstellen-Shop würde er schon bewältigen, und um ehrlich zu sein, hatte er im Moment sowieso nicht viel zu tun.
Ein Wagen kam ihm entgegen, und er lief näher am Bordstein. So ziellos wie jetzt hatte er sich schon lange nicht mehr gefühlt. Nicht, seit sein Vater ihn, seine Mutter und seine Schwester verlassen hatte. Er war zehn, als sein Alter einfach abgehauen war und es nie bereut hatte. Zehn, als er zum ersten Mal unsicher über seinen Platz auf der Welt gewesen war. Er war noch zu jung, um seiner Mutter zu helfen, und zu alt, um zu weinen wie seine Schwester. Er hatte sich hilflos gefühlt. Ein Gefühl, das er bis zum heutigen Tag verabscheute.
Damals hatten sie in einem Häuschen am Lake Coeur d’Alene im nördlichen Idaho gewohnt. Um dem Schmerz zu entfliehen, den die Abtrünnigkeit seines Vaters und die Unfähigkeit seiner Mutter, damit klarzukommen, ihm zugefügt hatten, hatte er den Großteil jenes ersten Sommers damit verbracht, die Unterwasserwelt jener eiskalten Gewässer zu erforschen. Jeden Morgen hatte er seiner Schwester das Frühstück gemacht und auf sie aufgepasst, bis seine Mutter aufstand. Dann hatte er seine Badehose angezogen, sich Tauchflossen und Taucherbrille geschnappt und sich zu Höchstleistungen getrieben. Er war weiter rausgeschwommen als am Tag zuvor, noch tiefer getaucht und hatte die Luft noch länger angehalten. Das war das Einzige, was ihm ein Ziel gegeben hatte. Das Einzige, wobei er sich nicht so hilflos gefühlt hatte. Das Einzige, was er kontrollieren konnte.
Im Laufe der nächsten acht Jahre zogen er, seine Mutter und seine Schwester noch vier Mal um. Manchmal blieben sie zwar im selben Staat, allerdings nie im selben Kreis oder Schulbezirk. Egal wohin sie zogen, trug er noch vor der Schule Zeitungen aus. Da er groß und von Natur aus sportlich war, hatte er ein bisschen Football gespielt, aber Lacrosse viel lieber gehabt. In den Sommermonaten hatte er gejobbt und sich in seiner Freizeit am nächstliegenden Gewässer rumgetrieben. Um zu schwimmen, zu tauchen oder Autumn zu zwingen, die Ertrinkende zu spielen, damit er sie ans Ufer retten konnte. Wenn seine Schwester mal nicht dabei war, nahm er die Mädchen unter die Lupe.
In dem Sommer, als er sechzehn war, hatten sie in Forest Grove, Oregon, gewohnt, wo
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