Wer zuletzt lacht, küsst am besten: Roman (German Edition)
Feierabend, Luraleen?«
Sie warf Vince einen Blick zu, den er zu ignorieren versuchte. »Mein Neffe ist zu Besuch.«
»Wenn du mal mit Freunden weggehen willst, ist mir das recht.« Nachdem er den gestrigen Abend und heute fast den ganzen Tag mit ihr verbracht hatte, konnte er eine Auszeit von seiner Tante vertragen. Er musste sich ihr Angebot durch den Kopf gehen lassen. Sein erster Impuls war gewesen, ihr eine Abfuhr zu erteilen, doch je länger er darüber nachdachte, desto größer wurde die Versuchung, auf ihr Angebot einzugehen. Er hatte zwar nicht vor, bis zum Ende seiner Tage in Lovett, Texas, zu bleiben, aber vielleicht konnte er das Gas and Go in eine weitere hübsche Geldanlage umwandeln. Ein paar kleinere Ausbesserungen hier und da vornehmen und es wieder verkaufen und einen Haufen Kohle damit machen.
»Bist du dir sicher?«
»Ja.« Unbedingt. Wenn seine Tante es mal so richtig krachen lassen wollte, brauchte sie Musik von Tammy Wynette aus dem »Kassettenrekorder« und eine Flasche Ten High. Er selbst trank nicht besonders gern Bourbon, schon gar keinen billigen Bourbon, und er wusste nicht, ob seine Leber das noch lange mitmachte.
Sie klatschte das Wechselgeld in Alvins ausgestreckte Hand. »Na schön, aber sorg diesmal dafür, dass alles funktioniert, sonst spar dir die Mühe.«
Funktioniert?
Alvin lief rot an, brachte aber ein Augenzwinkern zustande. »Alles klar, Schatz.«
Was zum …? Vince war in seinem Leben schon so einiger verstörender Scheiße ausgesetzt gewesen, von der er den Großteil im schwarzen Schließfach seiner Seele verstaut hatte, aber seine verschrumpelte Tante beim Sex mit Alvin stand auf der Verstörende-Scheiße-Liste ziemlich weit oben.
Luraleen schubste die Kassenschublade zu und verkündete: »Wir schließen heute früher. Vince, schalt den Hotdog-Grill ab!«
Knapp eine Stunde später ließ sich Vince am Haus seiner Tante absetzen. Sie hatte sich Pepto-Bismol-rosanen Lippenstift auf ihre Knitterlippen geschmiert, war in Alvins Truck gesprungen und mit ihm fortgebraust, um Dinge zu tun, über die Vince lieber nicht nachdenken wollte.
Vince war allein zurückgeblieben und saß nun auf einem alten schmiedeeisernen Stuhl auf der überdachten Veranda. Er hob eine Flasche Wasser an den Mund und stellte sie an seinem linken Fuß auf dem verzogenen Holz ab. Er war noch nie gut darin gewesen, sich zu entspannen. Er hatte immer eine Beschäftigung gebraucht. Ein klares Ziel.
Er band sich die Schnürsenkel am linken Laufschuh zu und wechselte zum rechten. Als er noch bei den Teams war, hatte es immer etwas gegeben, das erledigt werden musste. Er war immer im Einsatz gewesen oder im Training oder hatte sich auf die nächste Mission vorbereitet. Nach seiner Rückkehr nach Hause hatte er sich mit Arbeit und Familie selbst beschäftigt. Damals war sein Neffe erst wenige Monate alt, und seine Schwester hatte viel Unterstützung gebraucht. Sein Ziel war klar gewesen. Eine geistige Leere hatte es nicht gegeben. Nicht viel Zeit zum Grübeln. Egal worüber.
So hatte er es gern.
Die Fliegentür knallte hinter ihm zu, als er sich auf den Weg in die kühle Märzluft machte. Eine Mondsichel hing am schwarzen Nachthimmel, der randvoll mit Sternen war. Seattle, New York und Tokio verfügten über atemberaubende Skylines, aber keine davon konnte sich mit der natürlichen Schönheit von Milliarden von Sternen messen.
Auf der Asphaltstraße stampften die Sohlen seiner Laufschuhe ein leises, stetes Tempo. Ob in Afghanistan, im Irak oder auf einer Ölplattform in den ruhigen Gewässern des Persischen Golfs – unter dem dunklen Schleier der Nacht hatte Vince immer einen gewissen Frieden gefunden. Was ironisch war, wenn man bedachte, dass er, wie die meisten Sondereinheiten, oft bei Nacht und Nebel agiert hatte, das vertraute Rattern einer AK-47 in der Ferne und die beruhigende Antwort einer M4A1. Dieser Zwiespalt, bei Nacht zu gleichen Teilen Geborgenheit und Furcht zu empfinden, war etwas, das Männer wie er verstanden: den Kampf zum Feind zu bringen war viel besser, als darauf zu warten, dass der Feind ihn zu einem brachte.
In der ruhigen texanischen Nacht hingegen waren die einzigen Geräusche, die an seine Ohren drangen, sein eigener Atem und Hundegebell in der Ferne. Vielleicht ein Rottweiler.
In solchen Nächten konnte er sich in Gedanken mit seiner Zukunft oder seiner Vergangenheit beschäftigen. Mit den Gesichtern seiner Kameraden. Derer, die mit dem Leben davongekommen waren, und
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