Wer zuletzt lacht, küsst am besten: Roman (German Edition)
über die Lippen gekommen. Natürlich nicht. Das war nicht seine Art. Sie sah ihren Daddy von der Seite an. Er war barsch und verschlossen, aber sie hatte das Gefühl, als würde für einen Moment ein hauchdünner Schleier beiseitegezogen, und die verwirrende Liebe, Sehnsucht und Enttäuschung ihres Lebens würden klarer. Sie hatte immer gewusst, dass er nicht wusste, wie man als Vater zu sein hatte, war jedoch davon ausgegangen, es würde daran liegen, dass sie ein Mädchen war. Dass er ein echt beschissenes Vorbild gehabt hatte, hatte sie nicht gewusst. »Tja, ich bin froh, dass du mein Anker bist, Daddy.«
»Ja.« Er räusperte sich und blaffte dann: »Wo bleibt der verdammte Snooks? Er hätte schon vor einer Stunde hier sein sollen.«
Typisch. Wenn es nur annähernd rührselig wurde, reagierte Clive gereizt. Sadie lächelte. Ihr Verhältnis würde wahrscheinlich immer schwierig bleiben, doch immerhin verstand sie ihren Daddy jetzt ein klein bisschen besser als vorher. Er war ein harter Mann. Erzogen von einem noch härteren Mann.
Nachdem sie am Nachmittag die Reha-Klinik verlassen hatte, dachte sie über ihre Beziehung zu ihrem Vater nach. Er würde nie als Vater des Jahres nominiert werden, aber vielleicht war das ganz in Ordnung.
Sie überlegte auch, ob sie Vince simsen sollte. Sie hätte es gern getan, tat es allerdings nicht. Sie wollte seine grünen Augen sehen, wenn er den Kopf schief legte und ihr zuhörte. Sie wollte sein Lächeln sehen und das tiefe Timbre seines Lachens hören, doch sie wollte es nicht zu sehr wollen.
Stattdessen fuhr sie nach Hause, aß mit den Rancharbeitern zu Abend und ging früh zu Bett. Sie und Vince Haven waren nicht mehr als Freunde mit gewissen Vorzügen. So wollten sie es beide. Sie hatte noch nie einen Sexfreund gehabt. Nur feste Freunde und One-Night-Stands. Und sie wusste wirklich nicht, ob sie Vince überhaupt als Freund bezeichnen konnte. Sie mochte ihn, aber im Moment bot er ihr mehr gewisse Vorzüge als Freundschaft, und das Letzte, was sie wollte, war, sich in ihren Mann mit Vorzügen zu vergucken.
Vince parkte den Truck vor dem Haupthaus und lief seitlich drum herum. Bei Tage herrschte auf der Ranch große Geschäftigkeit. Wie auf einem Stützpunkt, nur mit mehr Tieren und etwas weniger Staub. Und wie ein Stützpunkt auf den ersten Blick chaotisch, obwohl es ein organisiertes und fein abgestimmtes Chaos war.
Weiter hinten wurde ein Kalb nach dem anderen in einen metallenen Behandlungsstand getrieben. Das Klirren von Schwermetall war bis hierher zu hören. Er konnte weder sehen, was die Männer mit den Kälbern anstellten, noch hören, ob sie dagegen protestierten.
Es war halb fünf, und er hatte den ganzen Tag geschuftet und im Gas and Go die alten Bodenfliesen rausgerissen. Etwa vor einer Stunde hatte ihm Sadie dann endlich eine SMS geschickt. Vier Tage lang hatte er nichts von ihr gesehen oder gehört. Seit dem Morgen, als sie ihn beschuldigt hatte, dass er von ihr einen geblasen bekommen wollte. Er hatte nicht vor, so zu tun, als hätte ihn das nicht geärgert. So ein Vollidiot war er nämlich nicht. Genauso wenig wie ein Vollidiot, der nur dumm rumsaß und die Launen einer Frau abwartete, die versprochen hatte, sich zu melden, und es dann nicht tat.
Er hatte die ganzen letzten Tage geschuftet wie ein Tier, das Ladengeschäft abgerissen und den Baumüllcontainer gefüllt. Abends hatte er die Bars unsicher gemacht. Er hatte im Slim Clem’s ein Lone Star gehoben und in der Kadaver-Bar einen Tequila gekippt, war aber an beiden Abenden noch vor Mitternacht nach Hause gegangen. Und zwar allein. Er hätte jemanden abschleppen können, wenn er lange genug geblieben wäre, doch so ungern er es sich auch eingestand, die stundenlange harte körperliche Arbeit hatte ihn erschöpft. Es hatte einmal eine Zeit gegeben, als er tagelang mit wenig oder gar keinem Schlaf ausgekommen war. Wenn er durchs Gelände marschiert oder gejoggt oder meilenweit gegen die Strömung angeschwommen war, bei unerträglicher Hitze oder Kälte, die ihm in die Knochen kroch, oft mit 25 bis 45 Kilo lebensnotwendiger Ausrüstung. Aber so fit war er heute nicht mehr, und so ungern er es sich auch eingestand, rächte es sich jetzt, dass er seinen Körper jahrelang bis über seine Grenzen getrieben hatte. Sein bevorzugtes Schmerzmittel war nicht mehr Tequila, sondern Ibuprofen.
Nachdem Sadie vier Tage nichts von sich hatte hören lassen, hatte sie endlich eine SMS geschickt und ihn auf die Ranch
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